Perfekte Gegenstände: Besuch des Red Dot Design Museums in Essen
Das Red Dot Design Museum, das auf dem Gelände der Zeche Zollverein liegt, ist ein besonderes Museum. Hier dreht sich alles rund ums Thema Design – und im Unterschied zu herkömmlichen Museen darf man die Ausstellungsstücke anfassen. Hier teile ich meine Erfahrungen im Red Dot Design Museum.
Das Wetter ist heute sehr eigenartig: Obwohl es kaum geregnet hat, ist alles feucht. An diesem Nachmittag bahnt sich die Sonne wieder einen Weg durch die Wolken. Weil ich mich wie ein Käfer in der Sonne aufladen muss, setze ich mich noch für eine Weile auf die Parkbank am Eingang des Museums und zücke mein Notizbuch.
Das Licht spiegelt sich in meinem Kugelschreiber und blendet mich; durch die Nässe blendet aber eigentlich alles, auch der Pflasterweg. Überall ist die Welt von kleinen Tröpfchen besprenkelt worden, das ist eher wie Tröpfcheninfektion, nicht wie Regen. Und ja: Es ist immer wichtig, zuerst über das Wetter zu sprechen. Ein guter Smalltalk, um ins Gespräch zu starten – oder in einen Blogartikel.
Der Museumseingang ist nicht sehr pompös gestaltet und es sieht alles ein bisschen verlassen aus. Ich hatte Schwierigkeiten, das Museum zu finden. Aber es gefällt mir hier. Trotz Müdigkeit und Lustlosigkeit kommt hier ein Künstlertreffgefühl auf.
Ich stehe auf und gehe durch die elektrischen Türen ins Museum hinein.
Die vier Qualitäten guten Designs
» Die Qualität der Funktion: Ein Objekt wird designt mit dem Ziel, eine bestimmte Funktion zu erfüllen. Nur weil etwas funktional ist, bedeutet das jedoch nicht, dass es sich gut gebrauchen lässt.
» Die Qualität der Verführung: Ein Objekt kann eine gewisse ästhetische Qualität besitzen – hier wird der Begriff gleichgesetzt mit dem Streben nach Schönheit.
» Die Qualität des Gebrauchs: Der Gebrauch beschreibt die Art und Weise, wie sich ein Objekt bedienen lässt. Ist die Handhabung des Objektes leicht, angenehm, praktisch?
» Die Qualität der Verantwortung: Im Vorfeld einer Produktentwicklung sollte darüber nachgedacht werden, wie das Objekt möglichst umweltverträglich hergestellt wird.
Man darf im Red Dot Museum die Gegenstände berühren und ausprobieren. Die Stühle kann man probesitzen, die Kühlschränke und Riesengrills öffnen, den Reisekoffer unbedarft durch den Museumsgang rollen und dabei testen, wie gelenkig er ist. Das Red Dot Museum ist eher ein zu steriles Möbelhaus als ein Museum – irgendwie aufregend. Und weit und breit ist keine Museumsaufsicht zu sehen, die mich beobachten könnte.
Am meisten Spaß macht es, wenn ich mich in die Stühle setze und sie mich unerwartet positiv überraschen. Ein Bürostuhl bringt mich dazu, der starren Sitzhaltung zu entfliehen, die sonst den ganzen Tag dominiert. Ein bunter Metallstuhl sieht ungemütlich aus, fühlt sich jedoch sehr ergonomisch an. Mein persönlicher Favorit ist ein Holzstuhl mit drei Beinen, dreieckiger Sitzfläche und ausgeklügelter Armlehne – perfekt für meine Lieblings-Sitzpositionen. Auf der Red Dot-Seite heißt es, die Sitzfläche des Stuhles aus Nussbaum- und Zedernholz sei wie ein Gitarrenspektrum gestaltet – klingt wie Poesie, nicht wahr?
Bis auf Details wie diese bietet das Museum jedoch nicht viel Poesie. Ganz im Gegenteil, denn Poesie ist für mich Kunst, und Kunst ist nicht Design. Sicher gibt es Menschen, für die Design auch Poesie ist – schließlich ist Poesie immer eine Frage der Perspektive. Für mich hatte das Museum im künstlerischen Sinne jedoch nicht viel zu bieten.
In dem Museum ist mir alles viel zu glatt, um poetisch zu sein. Die Gegenstände haben für mich keine Aura, die meisten sehen sogar eher tot aus (vielleicht auch deshalb, weil sie nicht benutzt werden?). Nichts ist handgefertigt, jedenfalls soweit ich das beurteilen kann. Keine Prototypen, keine gescheiterten Zwischenstände, nur fertige, funktionierende Objekte. Die gesamte Ausstellung erinnert mich sehr an eine These des Philosophen Byung-Chul Han über die Ästhetik des Glatten in unserem Zeitalter: Schön ist heutzutage vor allem das Makellose, das keinen Schmerz oder Widerstand verursacht.
Die Objekte im Red Dot Museum veranschaulichen das auf die beste Weise: Sie sind überwiegend aus glattem Metall oder Kunststoff gefertigt, Materialien, die keine wirkliche Oberflächenstruktur besitzen und bei Berührung keinen Widerstand leisten. Es fehlt die Haptik.
Die Waschmaschinen zum Beispiel. Normalerweise reizt mich die Form und Funktion von Waschmaschinen sehr, aber die Red Dot-Waschmaschinen haben ihren Charakter verloren. Ihre Bullaugen glänzen tiefschwarz und bedrohlich wie außerirdische Facettenaugen, die mich aufsaugen und nie wieder loslassen wollen; sie ziehen mich hinein in ein Schwarzes Loch, das in eine düstere Parallelwelt führt, aus der ich nie mehr entkommen kann. Es gibt keine Knöpfe und Schalter und die Waschmittelfächer leisten keinen Widerstand, wenn ich sie öffne. Kommt es zu einer Berührung zwischen mir und dem Objekt, dann ist es, als würde keiner von uns tatsächlich existieren.
Doch ich möchte nicht in einer widerstandslosen Welt leben, sogar dann nicht, wenn sich ein widerstandsloser Stuhl bequem anfühlt. Wenn wir keine Widerstände mehr empfinden, weil alles perfekt und glatt ist, wie sollen wir uns dann noch spüren, wie sollen wir uns mit uns selbst und miteinander auseinandersetzen, uns näher kommen ohne Widerstand?
Byung-Chul Han zufolge entsteht durch die glatten Oberflächen ein „haptischer Zwang“. Ja, man will diese Designobjekte anfassen, man will gewissermaßen an ihnen Lutschen, es ist eine haptische Art von Verführung. Diese rührt aber eher in dem kindlichen Versuch, die Gegenstände über die händische Berührung hinaus zu erkunden. Es ist, als reichten die Hände nicht mehr aus, um das Objekt zu erfahren, man muss tiefer gehen. Doch selbst wenn man daran leckte, käme man dem Objekt nicht näher.
Was wäre Sex mit dem Partner ohne Widerstand, ohne Reibung, ohne sich den Kopf zu stoßen, ohne manchmal komisch dabei auszusehen, ohne die Macken und Einkerbungen des Körpers zu sehen und seinen Geruch zu riechen? Was ist Sex mit einem Vibrator, Sex mit dem Glatten? Es fühlt sich unvollständig an. Die Ausstellung fühlt sich unvollständig an, als würde etwas fehlen, das das makellose Design aushebelt.
Wobei – eine Sache gibt es doch. Ich öffne den Klodeckel eines makellos designten Klos und in der Kloschüssel finde ich Haare, Staub und Dreck. Sehr unappetitlich. Das ist der erste Bruch in der Ausstellung, und obwohl ich es nicht schön finde, finde ich es doch erfreulich. Wenigstens ein bisschen Imperfektion. Leider habe ich davon kein Foto gemacht, doch dafür ist hier eine Reihe von Pissoirs zu sehen.
Natürlich ist in der Ausstellung auch Konsum ein Thema, weil gutes Design unmittelbar zum Warenfetischismus führt. Die gezeigten Produkte sind in erster Linie Konsumgüter und lassen vor allem ein Gefühl von Luxus und Perfektion entstehen, mit dem ich mich nicht identifizieren kann. Sie sind so, wie wir Menschen uns selbst und die Welt haben wollen, aber nicht sind.
Die Ausstellung zehrt an meinen Kräften wie Black Mirror und ich hatte noch nie so viel Durst während eines Künstlertreffs. Ich sehne mich nach meiner Wasserflasche und würde sie am liebsten in einem Zug leer trinken, aber mein Rucksack liegt unten im Schließfach, nicht ansatzweise so schön wie der Luxusrucksack.
Trotz dieser bedrückenden Gefühle würde ich sagen, dass ich (wenn ich hier nun schon auf schlau mache) im Red Dot Design Museum eine „ästhetische Erfahrung“ gemacht habe. Weil es etwas Besonderes war, sich dort inmitten all dieser perfekten, glatten Gegenstände zu befinden, weil es eine emotionale Reaktion in mir hervorgerufen hat, weil es meine Wahrnehmung für ein paar Stunden verändert hat. Und, zugegeben, nicht alle Ausstellungsstücke fand ich schrecklich. Da gab es zum Beispiel ein 3D-Puzzle mit Tierfiguren und nachhaltigem Konzept, das meinen Bastelspaß geweckt hat und im Vergleich zu den anderen Objekten sehr haptisch war. So lasse ich mich am Ende auch noch verführen und kaufe mir im Museumsshop eine nachhaltige Öko-Zahnbürste und ein 3D-Puzzle-Chamäleon.
Als ich schließlich aus dem Museum heraustrete, ist es draußen immer noch ein bisschen hell. Ich setze mich wieder auf die Parkbank. Die finde ich von allem am schönsten; hier fühle ich mich aufgehoben. Von der Bank aus ist der Blick auf die Halle 5 wunderschön. Irgendwo links blinken dumpfe Discolights. Das Wasser, das ich nun endlich trinken kann, ist gut für das Herz. Und die Luft draußen ist wie das Wasser – sie löscht meinen Durst.
Ich beobachte Hunde beim Spielen. Einer davon, ein kleiner Fiffi, heißt Manfred. Ich finde den Namen toll. Manfred kommt zu mir herüber und bellt mich böse an, obwohl ich nur friedlich auf der Bank sitze. Er muss halt irgendwie sein kleines Ego kompensieren. Immerhin macht er brav Sitz und hört auf sein Frauchen.
Bei all dem Widerstand, den ich gegen die Glätte und die Perfektion und das Design empfinde, darf ich nicht vergessen, dass alles um mich herum designt ist. Schließlich muss auch eine Parkbank von irgendjemandem designt werden. Und auch das hat mit Kreativität zu tun.
Ich bin müde, aber tiefenentspannt. Und ich bin trotzdem froh, dass ich die Glätte und Perfektion nun endlich hinter mir lassen kann.
Zur Ästhetik des Glatten:
Han, Byung-Chul: Die Errettung des Schönen, Frankfurt a. M.: S. Fischer 2015. S.11: „Der haptische Zwang oder die Lutschlust ist nur möglich in der sinnentleerten Kunst des Glatten.“
Perfekte Gegenstände: Besuch des Red Dot Design Museums in Essen
Das Red Dot Design Museum, das auf dem Gelände der Zeche Zollverein liegt, ist ein besonderes Museum. Hier dreht sich alles rund ums Thema Design – und im Unterschied zu herkömmlichen Museen darf man die Ausstellungsstücke anfassen. Hier teile ich meine Erfahrungen im Red Dot Design Museum.
Das Wetter ist heute sehr eigenartig: Obwohl es kaum geregnet hat, ist alles feucht. An diesem Nachmittag bahnt sich die Sonne wieder einen Weg durch die Wolken. Weil ich mich wie ein Käfer in der Sonne aufladen muss, setze ich mich noch für eine Weile auf die Parkbank am Eingang des Museums und zücke mein Notizbuch. Das Licht spiegelt sich in meinem Kugelschreiber und blendet mich; durch die Nässe blendet aber eigentlich alles, auch der Pflasterweg. Überall ist die Welt von kleinen Tröpfchen besprenkelt worden, das ist eher wie Tröpfcheninfektion, nicht wie Regen. Und ja: Es ist immer wichtig, zuerst über das Wetter zu sprechen. Ein guter Smalltalk, um ins Gespräch zu starten – oder in einen Blogartikel.
Der Museumseingang ist nicht sehr pompös gestaltet und es sieht alles ein bisschen verlassen aus. Ich hatte auch Schwierigkeiten, das Museum zu finden. Aber es gefällt mir hier. Trotz Müdigkeit und Lustlosigkeit kommt hier ein Künstlertreffgefühl auf.
Ich stehe auf und gehe durch die elektrischen Türen ins Museum hinein.
Die vier Qualitäten guten Designs
» Die Qualität der Funktion: Ein Objekt wird designt mit dem Ziel, eine bestimmte Funktion zu erfüllen. Nur weil etwas funktional ist, bedeutet das jedoch nicht, dass es sich gut gebrauchen lässt.
» Die Qualität der Verführung: Ein Objekt kann eine gewisse ästhetische Qualität besitzen – hier wird der Begriff gleichgesetzt mit dem Streben nach Schönheit.
» Die Qualität des Gebrauchs: Der Gebrauch beschreibt die Art und Weise, wie sich ein Objekt bedienen lässt. Ist die Handhabung des Objektes leicht, angenehm, praktisch?
» Die Qualität der Verantwortung: Im Vorfeld einer Produktentwicklung sollte darüber nachgedacht werden, wie das Objekt möglichst umweltverträglich hergestellt wird.
Ich nutze die Welt, wie sie mir gefällt
Man darf im Red Dot Museum die Gegenstände berühren und ausprobieren. Die Stühle kann man probesitzen, die Kühlschränke und Riesengrills öffnen, den Reisekoffer unbedarft durch den Museumsgang rollen und dabei testen, wie gelenkig er ist. Das Red Dot Museum ist eher ein zu steriles Möbelhaus als ein Museum – irgendwie aufregend. Und weit und breit ist keine Museumsaufsicht zu sehen, die mich beobachten könnte.
Am meisten Spaß macht es, wenn ich mich in die Stühle setze und sie mich unerwartet positiv überraschen. Ein Bürostuhl bringt mich dazu, der starren Sitzhaltung zu entfliehen, die sonst den ganzen Tag dominiert. Ein bunter Metallstuhl sieht ungemütlich aus, fühlt sich jedoch sehr ergonomisch an. Mein persönlicher Favorit ist ein Holzstuhl mit drei Beinen, dreieckiger Sitzfläche und ausgeklügelter Armlehne – perfekt für meine Lieblings-Sitzpositionen. Auf der Red Dot-Seite heißt es, die Sitzfläche des Stuhles aus Nussbaum- und Zedernholz sei wie ein Gitarrenspektrum gestaltet – klingt wie Poesie, nicht wahr?
Bis auf Details wie diese bietet das Museum jedoch nicht viel Poesie. Ganz im Gegenteil, denn Poesie ist für mich Kunst, und Kunst ist nicht Design. Sicher gibt es Menschen, für die Design auch Poesie ist – schließlich ist Poesie immer eine Frage der Perspektive. Für mich hatte das Museum im künstlerischen Sinne jedoch nicht viel zu bieten.
Leider macht die Welt, was mir nicht gefällt
In dem Museum ist mir alles viel zu glatt, um poetisch zu sein. Die Gegenstände haben für mich keine Aura, die meisten sehen sogar eher tot aus (vielleicht auch deshalb, weil sie nicht benutzt werden?). Nichts ist handgefertigt, jedenfalls soweit ich das beurteilen kann. Keine Prototypen, keine gescheiterten Zwischenstände, nur fertige, funktionierende Objekte. Die gesamte Ausstellung erinnert mich sehr an eine These des Philosophen Byung-Chul Han über die Ästhetik des Glatten in unserem Zeitalter: Schön ist heutzutage vor allem das Makellose, das keinen Schmerz oder Widerstand verursacht.
Die Objekte im Red Dot Museum veranschaulichen das auf die beste Weise: Sie sind überwiegend aus glattem Metall oder Kunststoff gefertigt, Materialien, die keine wirkliche Oberflächenstruktur besitzen und bei Berührung keinen Widerstand leisten. Es fehlt die Haptik.
Die Waschmaschinen zum Beispiel. Normalerweise reizt mich die Form und Funktion von Waschmaschinen sehr, aber die Red Dot-Waschmaschinen haben ihren Charakter verloren. Ihre Bullaugen glänzen tiefschwarz und bedrohlich wie außerirdische Facettenaugen, die mich aufsaugen und nie wieder loslassen wollen; sie ziehen mich hinein in ein Schwarzes Loch, das in eine düstere Parallelwelt führt, aus der ich nie mehr entkommen kann. Es gibt keine Knöpfe und Schalter und die Waschmittelfächer leisten keinen Widerstand, wenn ich sie öffne. Kommt es zu einer Berührung zwischen mir und dem Objekt, dann ist es, als würde keiner von uns tatsächlich existieren.
Doch ich möchte nicht in einer widerstandslosen Welt leben, sogar dann nicht, wenn sich ein widerstandsloser Stuhl bequem anfühlt. Wenn wir keine Widerstände mehr empfinden, weil alles perfekt und glatt ist, wie sollen wir uns dann noch spüren, wie sollen wir uns mit uns selbst und miteinander auseinandersetzen, uns näher kommen ohne Widerstand?
Byung-Chul Han zufolge entsteht durch die glatten Oberflächen ein „haptischer Zwang“. Ja, man will diese Designobjekte anfassen, man will gewissermaßen an ihnen Lutschen, es ist eine haptische Art von Verführung. Diese rührt aber eher in dem kindlichen Versuch, die Gegenstände über die händische Berührung hinaus zu erkunden. Es ist, als reichten die Hände nicht mehr aus, um das Objekt zu erfahren, man muss tiefer gehen. Doch selbst wenn man daran leckte, käme man dem Objekt nicht näher.
Was wäre Sex mit dem Partner ohne Widerstand, ohne Reibung, ohne sich den Kopf zu stoßen, ohne manchmal komisch dabei auszusehen, ohne die Macken und Einkerbungen des Körpers zu sehen und seinen Geruch zu riechen? Was ist Sex mit einem Vibrator, Sex mit dem Glatten? Es fühlt sich unvollständig an. Die Ausstellung fühlt sich unvollständig an, als würde etwas fehlen, das das makellose Design aushebelt.
Wobei – eine Sache gibt es doch. Ich öffne den Klodeckel eines makellos designten Klos und in der Kloschüssel finde ich Haare, Staub und Dreck. Sehr unappetitlich. Das ist der erste Bruch in der Ausstellung, und obwohl ich es nicht schön finde, finde ich es doch erfreulich. Wenigstens ein bisschen Imperfektion. Leider habe ich davon kein Foto gemacht, doch dafür ist hier eine Reihe von Pissoirs zu sehen.
Natürlich ist in der Ausstellung auch Konsum ein Thema, weil gutes Design unmittelbar zum Warenfetischismus führt. Die gezeigten Produkte sind in erster Linie Konsumgüter und lassen vor allem ein Gefühl von Luxus und Perfektion entstehen, mit dem ich mich nicht identifizieren kann. Sie sind so, wie wir Menschen uns selbst und die Welt haben wollen, aber nicht sind.
Die Ausstellung zehrt an meinen Kräften wie Black Mirror und ich hatte noch nie so viel Durst während eines Künstlertreffs. Ich sehne mich nach meiner Wasserflasche und würde sie am liebsten in einem Zug leer trinken, aber mein Rucksack liegt unten im Schließfach, nicht ansatzweise so schön wie der Luxusrucksack.
Trotz dieser bedrückenden Gefühle würde ich sagen, dass ich (wenn ich hier nun schon auf schlau mache) im Red Dot Design Museum eine „ästhetische Erfahrung“ gemacht habe. Weil es etwas Besonderes war, sich dort inmitten all dieser perfekten, glatten Gegenstände zu befinden, weil es eine emotionale Reaktion in mir hervorgerufen hat, weil es meine Wahrnehmung für ein paar Stunden verändert hat. Und, zugegeben, nicht alle Ausstellungsstücke fand ich schrecklich. Da gab es zum Beispiel ein 3D-Puzzle mit Tierfiguren und nachhaltigem Konzept, das meinen Bastelspaß geweckt hat und im Vergleich zu den anderen Objekten sehr haptisch war. So lasse ich mich am Ende auch noch verführen und kaufe mir im Museumsshop eine nachhaltige Öko-Zahnbürste und ein 3D-Puzzle-Chamäleon.
Weil auch Parkbänke designt werden müssen
Als ich schließlich aus dem Museum heraustrete, ist es draußen immer noch ein bisschen hell. Ich setze mich wieder auf die Parkbank. Die finde ich von allem am schönsten; hier fühle ich mich aufgehoben. Von der Bank aus ist der Blick auf die Halle 5 wunderschön. Irgendwo links blinken dumpfe Discolights. Das Wasser, das ich nun endlich trinken kann, ist gut für das Herz. Und die Luft draußen ist wie das Wasser – sie löscht meinen Durst.
Ich beobachte Hunde beim Spielen. Einer davon, ein kleiner Fiffi, heißt Manfred. Ich finde den Namen toll. Manfred kommt zu mir herüber und bellt mich böse an, obwohl ich nur friedlich auf der Bank sitze. Er muss halt irgendwie sein kleines Ego kompensieren. Immerhin macht er brav Sitz und hört auf sein Frauchen.
Bei all dem Widerstand, den ich gegen die Glätte und die Perfektion und das Design empfinde, darf ich nicht vergessen, dass alles um mich herum designt ist. Schließlich muss auch eine Parkbank von irgendjemandem designt werden. Und auch das hat mit Kreativität zu tun.
Ich bin müde, aber tiefenentspannt. Und ich bin trotzdem froh, dass ich die Glätte und Perfektion nun endlich hinter mir lassen kann.
Zur Ästhetik des Glatten:
Han, Byung-Chul: Die Errettung des Schönen, Frankfurt a. M.: S. Fischer 2015. S.11: „Der haptische Zwang oder die Lutschlust ist nur möglich in der sinnentleerten Kunst des Glatten.“