Über Hundertwasser kreative Geheimnisse: Mein Künstlertreff zum Kunst Haus Wien, dem Museum Hundertwasser
Ende März habe ich eine enge Freundin in Wien besucht und mir bei dieser Gelegenheit auch das Kunst Haus Wien angeschaut – ein von Hundertwasser gestaltetes Haus, das als von ihm entworfenes Museum seine größte Ausstellung beherbergt.
Seit ich die Ausstellung im Phoenix des Lumières in Dortmund gesehen habe, bin ich fasziniert von Friedensreich Hundertwasser. Gleich nach der Ausstellung habe ich mir ein Buch über ihn gekauft und es in der Februarsonne auf meinem Balkon gelesen – mit Sonnenhut auf dem Kopf. Ich habe versucht, mich in seine Welt hineinzudenken. In seine fünf Häute zu schlüpfen und mir zu überlegen, was meine eigenen Häute sind und wie sie mich prägen. Hundertwasser hielt Überraschungen für mich bereit, nicht nur als Maler und Architekt, sondern als Mensch – er kämpfte schon früh für eine Welt im Einklang mit der Natur. Er baute Humus-Toiletten, reiste auf seinem Segelboot Regentag um die Welt und lebt seit dem Jahre 2000 als Tulpenbaum weiter. Denn als er starb, wurde sein Leichnam in ein Leinentuch gewickelt, in der Erde vergraben und ein Tulpenbaum auf ihm gepflanzt.
Es ist naheliegend, dass ich meinen Text nun mittels der fünf Häute strukturiere, über die laut Hundertwasser jeder Mensch verfügt. Ich orientiere mich dabei an den Büchern, die ich zu dem Künstler gelesen habe.
Wir leben jetzt in einer Zeit, wo die Angst und die Scham vor der Kreativität bedeutend größer sind als die Scham, sich nackt auszuziehen.
Es ist einer jener Tage, die mit einem Gefühl von Unwohlsein starten: Ich fühle mich nicht gut in meiner Haut. Irgendwie hat es wohl etwas mit meinem Zyklus zu tun, mit zu wenig Schlaf und mit Rastlosigkeit. Aber ich versuche, mich nicht darauf zu fokussieren, sondern kaufe mir einen sehr leckeren Cappuccino, den ich auf einer Parkbank direkt an der Karlskirche trinke – dort, wo Sonne und Schatten unter der Baumkrone beschwingt miteinander spielen. Ich sehe an der Karlskirche ein Zitat: Culture is a highway /Art is a forest path. Und weil Kunst ein Waldweg ist, kann sie nicht so schnell sein wie der Highway. Man muss ihren Unebenheiten, ihren Wurzelschlägen und Undurchsichtigkeiten Raum und Zeit lassen.
In dem Film Hundertwassers Regentag (1972) sagt Hundertwasser, dass er beim Malen den Intellekt ausschaltet und stattdessen träumt. Er beurteilt seine Arbeit nicht. Seine Arbeit kommt nicht von ihm selbst, sondern von weit her – sie ist schöpferisch, religiös. Macht nicht jeder Kreative zumindest einmal diese Erfahrung? Hundertwasser sagt, dass er sich selbst mit seinen Bildern überraschen kann. Ich kenne das Gefühl, nach dem Fertigstellen eines Bildes zu denken: Wow, das habe ich geschaffen? Wenn ich selbst nicht erstaunt bin von meinem Bild, wenn es mir selbst nichts Neues über die Welt und über meine Fähigkeiten erzählt, wie soll es das bei jemand anderem bewirken? Den Intellekt ausschalten. Nicht mehr malen, wie die Welt von außen ist, sondern wie ich sie von Innen erlebe. Mit meiner Fantasie malen, schreiben, erschaffen.
Gut auf den Füßen, gut in Schuss, geistig fit. Ich liege und betrachte meine eigenen Füße, zwei verschiedene Socken: Individualität und Asymmetrie des Menschen.
Ab etwa 1949 hat Hundertwasser angefangen, seine Kleidung selbst zu nähen. Er trug mit Vorliebe gestreifte Kleidungsstücke, deren gerade Linien durch die ungebügelten Stoffe aufgebrochen wurden. (Für Hundertwasser ist die gerade Linie gottlos.) Und er liebte es, zwei verschiedene Socken zu tragen, die er selbst anfertigte – genauso wie sein Schuhwerk. Seine Kleidung wurde einzigartig und bot ihm die Gelegenheit, sich auch in seiner zweiten Haut frei zu entfalten und seiner Individualität als Mensch gerecht zu werden. Die Tyrannei der Modeindustrie mit ihrem einheitlichen und anonymen Kleidungsstil bedeutete für Hundertwasser, dass der Mensch auf seine Individualität verzichtet. Dabei sollte er stolz darauf sein, eine originelle zweite Haut zu tragen, die anders ist als die der anderen. Besonders in seiner Anfangszeit als Künstler – nachdem Hundertwasser sein Studium an der Wiener Akademie der Künste nach nur drei Monaten abgebrochen hatte und auf einer Italienreise den Maler René Brô kennenlernte – stellte er seine Kleidung aus Stofffetzen her, die ihm in die Hände fielen. Kleidung selbst Nähen aus Notwendigkeit, das erscheint mir manchmal wie ein Geheimrezept für Kreativität zu sein. Auch wenn es dem Klischee des verarmten Künstlers entspricht. Ich für meinen Teil würde gerne einmal meine eigene zweite Haut herstellen.
Was wir dringend benötigen, sind Schönheitshindernisse. Diese Schönheitshindernisse bestehen aus unreglementierten Unregelmäßigkeiten.
Ich trete ins Kunst Haus Wien ein und verschaffe mir einen ersten Eindruck. Nachdem ich über Hundertwassers Architektur lediglich gelesen habe, darf ich nun eines seiner Häuser erkunden. Bereits nach den ersten paar Schritten beginne ich, das Gelesene besser zu verstehen. Schon jetzt liebe ich all diese Wellen im Boden, weil sie mich auf mein eigenes Wandeln aufmerksam machen: Wie bewege ich mich im Raum? Achte ich überhaupt darauf, wo ich hintrete? Wieso halte ich es sonst für selbstverständlich, dass der Boden vor mir ebenerdig ist?
Je mehr ich mich in dem von ihm gestalteten Ort umsehe, desto mehr regt er meine Fantasie an: Die Mosaikfliesen bilden aufregende Hügel, die Säulen aus Keramik schillern in bunten Farben, die Baummieter nehmen einen festen Teil des Raumes ein. All das sind Schönheitshindernisse. Schönheitshindernisse, weil sie die alltägliche und gedankenlose Bewegung im Raum aufbrechen und mich dazu bringen, immer wieder innezuhalten und die Umgebung genauer wahrzunehmen. Den Blick für ihre Schönheit wiederzugewinnen.
Am liebsten würde ich meine Schuhe abstreifen und barfuß durch die Räume wandern, um den Untergrund so richtig spüren zu können. Hundertwasser hätte sicher nichts dagegen gehabt.
Wenn mich ein Maler fragt: „Wie finde ich mich selbst?“ Die einfache Antwort: Dort fortsetzen, wo man als Kind zu träumen aufzuhören gezwungen wurde.
Kreative Menschen – in welcher Hinsicht auch immer – sind im besten Fall eingebettet in ein soziales Netz aus Menschen, das sie in ihrer Arbeit unterstützt. Hundertwasser verfügte über ein sehr großes Netz aus Unterstützern, basierend auf seiner Identität als Künstler, die er schon früh ausgebildet hat. Bereits in jungen Jahren fasste er den Beschluss, Maler zu werden. Die Kunst erschien ihm als das mächtigste und umfassendste Mittel, um sich selbst und seine Naturerlebnisse auszudrücken.
Seine Mutter wünschte sich ein eher unscheinbares und friedvolles Leben für ihren Sohn, doch Hundertwasser scheute sich nicht davor, im Blick der Öffentlichkeit zu stehen. So verzeichnete er schon früh erste Erfolge als Maler und gewann schnell an Bekanntheit.
Nicht jeder schafft es, sich so früh zu einer bestimmten Identität zu bekennen und ein soziales Netz aufzubauen, das dieser (in diesem Fall Künstler-Identität) zuträglich ist. In der Welt da draußen gibt es unzählige Menschen, denen Kreativität grundsätzlich Angst macht – weil sie bedeutet, das Unbekannte zu erkunden, den Geist offen zu halten und eine aktive Verantwortung für das eigene Schaffen zu übernehmen. Viele sind davon überzeugt, dass Geld, Leistung oder die Außenwirkung wichtiger sind als ein kreatives und erfülltes Leben.
Ich sehe mir das obige Zitat von Hundertwasser an und frage mich: Wie wurde ich gezwungen, mit dem Träumen aufzuhören? Vor allem, indem mir die Zeit für meine Fantasie geraubt wurde. Indem meinen Träumen das Streben nach Leistungen entgegengesetzt wurde. Indem die Freude am Prozess und an reiner Schaffenskraft keine Priorität mehr hatte – sondern das Endergebnis zählte. Ich will dort weitermachen, wo ich gezwungen wurde, aufzuhören.
Hundertwassers Konzept von Identität ist ein Individualistisches: Jeder muss für sich selbst Sorge tragen, damit allen geholfen ist. Jeder einzelne muss handeln, um die Umwelt zu gestalten. Jeder Mensch sollte frei und schöpferisch sein, statt sich selbst zu einem „manipulierten Konsumgut“ zu erniedrigen.
Der Kreislauf von Essen zur Scheiße funktioniert. Der Kreislauf von der Scheiße zum Essen ist unterbrochen.
Friedensreich Hundertwasser war ein wichtiger Wegbereiter der Umweltbewegung und sein gesamtes Schaffen basiert auf dem Wunsch, in Frieden und Harmonie mit der Natur zu leben. Er verreiste mit dem Segelschiff, aß Brennnesselsalat, entwarf die Humus-Toilette, stellte seine eigenen Farben her… er betrieb fast schon fanatisches Recycling und lebte und malte so sparsam wie möglich. Die von ihm verschönerten Gebäude zeichnen sich durch bepflanzte Dächer, Baummieter (d. h. Bäume, die einen festen Teil des Wohnraums einnehmen und ihre Miete in Form von frischer Luft begleichen), durch bunte Farben sowie durch die Freiheit der Bewohner aus, das Gebäude kreativ mitzugestalten. Damit schaffte er wunderbare Gegenentwürfe zu einer Welt, in der alle Häuser gleich aussehen, das Grün aus der Stadt verbannt wird und jedes kreative Mitspracherecht im Keim erstickt wird.
Hundertwasser war mutig, und er hatte genügend Befürworter um sich, die seinen Gegenentwürfen eine Chance gaben. In seiner Ausstellung fasziniert mich besonders das Modell einer ganzen Wohnsiedlung, die nach Hundertwassers Entwürfen gebaut werden sollte – eine bewohnbare Fantasiewelt, von der die meisten nur träumen können. Leider wurde die Umsetzung der Pläne durch eine Bürgerinitiative behindert, die Störungen des umliegenden Gebiets durch Touristenmassen befürchtete.
Einerseits ist diese Befürchtung berechtigt – immerhin sammeln sich vor dem bewohnten Hundertwasserhaus in Wien unzählige Touristen an, die das Haus bewundern. Andererseits hätte die Entstehung einer solchen Siedlung eine große Inspiration für zukünftiges Wohnen werden können. Und wenn es überall in der Welt schöner, bunter und kreativer wäre, dann sehnte man sich womöglich weniger danach, an andere Orte zu flüchten. Dann wäre ein solcher Ort nicht mehr eine Ausnahme, sondern die Regel.
Vielleicht kann unsere Welt erst wieder lebendiger werden, wenn wir bereit sind, überall solche Orte zu schaffen oder bereits bestehende Orte zu verschönern. Ist das Idealismus oder eine Utopie? Ich sage dazu nur: Alles, was wir in der Welt um uns herum sehen, war anfangs bloß ein Gedanke, vielleicht sogar ein völlig unmöglicher.
Manchmal müssen wir den Intellekt ausschalten. In unserer Kreativität träumerisch werden. Uns selbst überraschen. Dann müssen wir uns nicht mehr aus der Welt flüchten, sondern können eine neue erschaffen.
Quellen:
Kiessler, Lena (u.a.): Hundertwasser Für die Zukunft. Berlin: Hatje Cantz Verlag 2020.
Restany, Pierre: Hundertwasser. Die Macht der Kunst – Der Maler-König mit den fünf Häuten. Köln: Taschen 2022.
Film: Schamoni, Peter: Hundertwassers Regentag. 1972.
Webseite: https://hundertwasser.com/oekologie/arch75_das_huegelwiesenland_1094 (Datum des Aufrufs: 17.04.2023).
Außerdem Angaben und Eindrücke, die ich im Kunst Haus Wien gesammelt habe.
Über Hundertwasser kreative Geheimnisse: Mein Künstlertreff zum Kunst Haus Wien
Ende März habe ich eine enge Freundin in Wien besucht und mir bei dieser Gelegenheit auch das Kunst Haus Wien angeschaut – ein von Hundertwasser gestaltetes Haus, das als von ihm entworfenes Museum seine größte Ausstellung beherbergt.
Seit ich die Ausstellung im Phoenix des Lumières in Dortmund gesehen habe, bin ich fasziniert von Friedensreich Hundertwasser. Gleich nach der Ausstellung habe ich mir ein Buch über ihn gekauft und es in der Februarsonne auf meinem Balkon gelesen – mit Sonnenhut auf dem Kopf. Ich habe versucht, mich in seine Welt hineinzudenken. In seine fünf Häute zu schlüpfen und mir zu überlegen, was meine eigenen Häute sind und wie sie mich prägen. Hundertwasser hielt Überraschungen für mich bereit, nicht nur als Maler und Architekt, sondern als Mensch – er kämpfte schon früh für eine Welt im Einklang mit der Natur. Er baute Humus-Toiletten, reiste auf seinem Segelboot Regentag um die Welt und lebt seit dem Jahre 2000 als Tulpenbaum weiter. Denn als er starb, wurde sein Leichnam in ein Leinentuch gewickelt, in der Erde vergraben und ein Tulpenbaum auf ihm gepflanzt.
Es ist naheliegend, dass ich meinen Text nun mittels der fünf Häute strukturiere, über die laut Hundertwasser jeder Mensch verfügt. Ich orientiere mich dabei an den Büchern, die ich zu dem Künstler gelesen habe.
Es ist einer jener Tage, die mit einem Gefühl von Unwohlsein starten: Ich fühle mich nicht gut in meiner Haut. Irgendwie hat es wohl etwas mit meinem Zyklus zu tun, mit zu wenig Schlaf und mit Rastlosigkeit. Aber ich versuche, mich nicht darauf zu fokussieren, sondern kaufe mir einen sehr leckeren Cappuccino, den ich auf einer Parkbank direkt an der Karlskirche trinke – dort, wo Sonne und Schatten unter der Baumkrone beschwingt miteinander spielen. Ich sehe an der Karlskirche ein Zitat: Culture is a highway /Art is a forest path. Und weil Kunst ein Waldweg ist, kann sie nicht so schnell sein wie der Highway. Man muss ihren Unebenheiten, ihren Wurzelschlägen und Undurchsichtigkeiten Raum und Zeit lassen.
In dem Film Hundertwassers Regentag (1972) sagt Hundertwasser, dass er beim Malen den Intellekt ausschaltet und stattdessen träumt. Er beurteilt seine Arbeit nicht. Seine Arbeit kommt nicht von ihm selbst, sondern von weit her – sie ist schöpferisch, religiös. Macht nicht jeder Kreative zumindest einmal diese Erfahrung? Hundertwasser sagt, dass er sich selbst mit seinen Bildern überraschen kann. Ich kenne das Gefühl, nach dem Fertigstellen eines Bildes zu denken: Wow, das habe ich geschaffen? Wenn ich selbst nicht erstaunt bin von meinem Bild, wenn es mir selbst nichts Neues über die Welt und über meine Fähigkeiten erzählt, wie soll es das bei jemand anderem bewirken? Den Intellekt ausschalten. Nicht mehr malen, wie die Welt von außen ist, sondern wie ich sie von Innen erlebe. Mit meiner Fantasie malen, schreiben, erschaffen.
Ab etwa 1949 hat Hundertwasser angefangen, seine Kleidung selbst zu nähen. Er trug mit Vorliebe gestreifte Kleidungsstücke, deren gerade Linien durch die ungebügelten Stoffe aufgebrochen wurden. (Für Hundertwasser ist die gerade Linie gottlos.) Und er liebte es, zwei verschiedene Socken zu tragen, die er selbst anfertigte – genauso wie sein Schuhwerk. Seine Kleidung wurde einzigartig und bot ihm die Gelegenheit, sich auch in seiner zweiten Haut frei zu entfalten und seiner Individualität als Mensch gerecht zu werden. Die Tyrannei der Modeindustrie mit ihrem einheitlichen und anonymen Kleidungsstil bedeutete für Hundertwasser, dass der Mensch auf seine Individualität verzichtet. Dabei sollte er stolz darauf sein, eine originelle zweite Haut zu tragen, die anders ist als die der anderen. Besonders in seiner Anfangszeit als Künstler – nachdem Hundertwasser sein Studium an der Wiener Akademie der Künste nach nur drei Monaten abgebrochen hatte und auf einer Italienreise den Maler René Brô kennenlernte – stellte er seine Kleidung aus Stofffetzen her, die ihm in die Hände fielen. Kleidung selbst Nähen aus Notwendigkeit, das erscheint mir manchmal wie ein Geheimrezept für Kreativität zu sein. Auch wenn es dem Klischee des verarmten Künstlers entspricht. Ich für meinen Teil würde gerne einmal meine eigene zweite Haut herstellen.
Ich trete ins Kunst Haus Wien ein und verschaffe mir einen ersten Eindruck. Nachdem ich über Hundertwassers Architektur lediglich gelesen habe, darf ich nun eines seiner Häuser erkunden. Bereits nach den ersten paar Schritten beginne ich, das Gelesene besser zu verstehen. Schon jetzt liebe ich all diese Wellen im Boden, weil sie mich auf mein eigenes Wandeln aufmerksam machen: Wie bewege ich mich im Raum? Achte ich überhaupt darauf, wo ich hintrete? Wieso halte ich es sonst für selbstverständlich, dass der Boden vor mir ebenerdig ist?
Je mehr ich mich in dem von ihm gestalteten Ort umsehe, desto mehr regt er meine Fantasie an: Die Mosaikfliesen bilden aufregende Hügel, die Säulen aus Keramik schillern in bunten Farben, die Baummieter nehmen einen festen Teil des Raumes ein. All das sind Schönheitshindernisse. Schönheitshindernisse, weil sie die alltägliche und gedankenlose Bewegung im Raum aufbrechen und mich dazu bringen, immer wieder innezuhalten und die Umgebung genauer wahrzunehmen. Den Blick für ihre Schönheit wiederzugewinnen.
Am liebsten würde ich meine Schuhe abstreifen und barfuß durch die Räume wandern, um den Untergrund so richtig spüren zu können. Hundertwasser hätte sicher nichts dagegen gehabt.
Kreative Menschen – in welcher Hinsicht auch immer – sind im besten Fall eingebettet in ein soziales Netz aus Menschen, das sie in ihrer Arbeit unterstützt. Hundertwasser verfügte über ein sehr großes Netz aus Unterstützern, basierend auf seiner Identität als Künstler, die er schon früh ausgebildet hat. Bereits in jungen Jahren fasste er den Beschluss, Maler zu werden. Die Kunst erschien ihm als das mächtigste und umfassendste Mittel, um sich selbst und seine Naturerlebnisse auszudrücken.
Seine Mutter wünschte sich ein eher unscheinbares und friedvolles Leben für ihren Sohn, doch Hundertwasser scheute sich nicht davor, im Blick der Öffentlichkeit zu stehen. So verzeichnete er schon früh erste Erfolge als Maler und gewann schnell an Bekanntheit.
Nicht jeder schafft es, sich so früh zu einer bestimmten Identität zu bekennen und ein soziales Netz aufzubauen, das dieser (in diesem Fall Künstler-Identität) zuträglich ist. In der Welt da draußen gibt es unzählige Menschen, denen Kreativität grundsätzlich Angst macht – weil sie bedeutet, das Unbekannte zu erkunden, den Geist offen zu halten und eine aktive Verantwortung für das eigene Schaffen zu übernehmen. Viele sind davon überzeugt, dass Geld, Leistung oder die Außenwirkung wichtiger sind als ein kreatives und erfülltes Leben.
Ich sehe mir das obige Zitat von Hundertwasser an und frage mich: Wie wurde ich gezwungen, mit dem Träumen aufzuhören? Vor allem, indem mir die Zeit für meine Fantasie geraubt wurde. Indem meinen Träumen das Streben nach Leistungen entgegengesetzt wurde. Indem die Freude am Prozess und an reiner Schaffenskraft keine Priorität mehr hatte – sondern das Endergebnis zählte. Ich will dort weitermachen, wo ich gezwungen wurde, aufzuhören.
Hundertwassers Konzept von Identität ist ein Individualistisches: Jeder muss für sich selbst Sorge tragen, damit allen geholfen ist. Jeder einzelne muss handeln, um die Umwelt zu gestalten. Jeder Mensch sollte frei und schöpferisch sein, statt sich selbst zu einem „manipulierten Konsumgut“ zu erniedrigen.
Friedensreich Hundertwasser war ein wichtiger Wegbereiter der Umweltbewegung und sein gesamtes Schaffen basiert auf dem Wunsch, in Frieden und Harmonie mit der Natur zu leben. Er verreiste mit dem Segelschiff, aß Brennnesselsalat, entwarf die Humus-Toilette, stellte seine eigenen Farben her… er betrieb fast schon fanatisches Recycling und lebte und malte so sparsam wie möglich. Die von ihm verschönerten Gebäude zeichnen sich durch bepflanzte Dächer, Baummieter (d. h. Bäume, die einen festen Teil des Wohnraums einnehmen und ihre Miete in Form von frischer Luft begleichen), durch bunte Farben sowie durch die Freiheit der Bewohner aus, das Gebäude kreativ mitzugestalten. Damit schaffte er wunderbare Gegenentwürfe zu einer Welt, in der alle Häuser gleich aussehen, das Grün aus der Stadt verbannt wird und jedes kreative Mitspracherecht im Keim erstickt wird.
Hundertwasser war mutig, und er hatte genügend Befürworter um sich, die seinen Gegenentwürfen eine Chance gaben. In seiner Ausstellung fasziniert mich besonders das Modell einer ganzen Wohnsiedlung, die nach Hundertwassers Entwürfen gebaut werden sollte – eine bewohnbare Fantasiewelt, von der die meisten nur träumen können. Leider wurde die Umsetzung der Pläne durch eine Bürgerinitiative behindert, die Störungen des umliegenden Gebiets durch Touristenmassen befürchtete.
Einerseits ist diese Befürchtung berechtigt – immerhin sammeln sich vor dem bewohnten Hundertwasserhaus in Wien unzählige Touristen an, die das Haus bewundern. Andererseits hätte die Entstehung einer solchen Siedlung eine große Inspiration für zukünftiges Wohnen werden können. Und wenn es überall in der Welt schöner, bunter und kreativer wäre, dann sehnte man sich womöglich weniger danach, an andere Orte zu flüchten. Dann wäre ein solcher Ort nicht mehr eine Ausnahme, sondern die Regel.
Vielleicht kann unsere Welt erst wieder lebendiger werden, wenn wir bereit sind, überall solche Orte zu schaffen oder bereits bestehende Orte zu verschönern. Ist das Idealismus oder eine Utopie? Ich sage dazu nur: Alles, was wir in der Welt um uns herum sehen, war anfangs bloß ein Gedanke, vielleicht sogar ein völlig unmöglicher.
Manchmal müssen wir den Intellekt ausschalten. In unserer Kreativität träumerisch werden. Uns selbst überraschen. Dann müssen wir uns nicht mehr aus der Welt flüchten, sondern können eine neue erschaffen.
Quellen:
Kiessler, Lena (u.a.): Hundertwasser Für die Zukunft. Berlin: Hatje Cantz Verlag 2020.
Restany, Pierre: Hundertwasser. Die Macht der Kunst – Der Maler-König mit den fünf Häuten. Köln: Taschen 2022.
Film: Schamoni, Peter: Hundertwassers Regentag. 1972.
Webseite: https://hundertwasser.com/oekologie/arch75_das_huegelwiesenland_1094 (Datum des Aufrufs: 17.04.2023).
Außerdem Angaben und Eindrücke, die ich im Kunst Haus Wien gesammelt habe.