Ein Tempel im Industriegebiet

Künstlertreff zum Sri-Kamachi-Ampal-Tempel in Hamm

  • 3 Min. Lesezeit
  • 2. Juni 2023
  • Sonja

Diesmal erreiche ich bei meinem Künstlertreff zum hinduistischen Tempel in Hamm nicht ganz mein Ziel. Dennoch sammle ich jede Menge sommerliche Eindrücke. 

Obwohl es noch Frühling ist, habe ich eine Vorahnung von Sommer. Ich sehe durchscheinende Stoffe im Wind, wüstenhafte Techno-Festivals, drückende Hitze und klirrende Eiswürfel. Süßes Radler, das den Nachgeschmack von Hopfen hat und uns das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Wir wollen den nächsten Schluck, wir wollen mehr, denn weil Sommer ist, erwachen wir zum Leben und das Herz pocht wieder. Während wir im Winter den ganzen Tag nur aßen und lagen, können wir jetzt die ganze Nacht trinken und tanzen. Weil alle irgendwohin wollen, müssen wir uns in der Regionalbahn heute zwischen den Füßen hindurchschlängeln. Plötzlich ist das Licht unendlich, und wenn die Sonne untergeht, vergessen wir das Schlafengehen. Jemand hat die Nacht gestohlen.

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, mich bei Künstlertreffs immer wieder an seltsam verlassenen Orten wiederzufinden. Bisher hat es sich immer gelohnt, einfach so lange weiterzugehen, bis ich an meinem Ziel ankomme. Dort ist dann in der Regel alles wieder normal. Doch dieses Mal ist das anders.

Eigentlich hätte schon der Blick auf die Karte Vorwarnung genug sein müssen: Der Tamilische Tempel liegt weit außerhalb des Stadtzentrums von Hamm in einem Industriegebiet, das sich im Stadtbezirk Uentrop befindet. So richtig bewusst wird mir das jedoch erst, als ich an der Uentroper Kirche aussteige und mich in einer ziemlich dörflichen Umgebung wiederfinde. Die Haltestelle liegt direkt vor einem kleinen Netto, der neben einigen Grünflächen und Wohnhäusern der einzige Hinweis auf Leben ist. Weil ich zum jetzigen Zeitpunkt noch darauf vertraue, dass ich meinen Weg zum Hindu-Tempel schon irgendwie finden werde, folge ich der Navigation weiter ins Hinterland.

Mutig laufe ich an verlassenen Häusern vorbei, überquere Bahnübergänge und setze meinen Weg auf Grün- und Seitenstreifen fort, als es keine Bürgersteige mehr gibt. Mehrere Lastwagen rasen mit Tempo 70 an mir vorbei und wirbeln Staub auf, der mir in den Augen brennt. Je näher ich meinem Ziel komme, desto suspekter wird mir die Umgebung, die ganz offensichtlich nicht für Fußgänger gemacht ist. Als ich an dem scheinbar letzten, komplett umzäunten Wohnhaus der Straße ankomme, erblicke ich endlich die bunten Türme des Hindu-Tempels. Aus der Ferne sind die Ornamente kaum zu erkennen und ihre vielen Farben wirken verblichen. Der Anblick ist unwirklich. Obwohl ich ja noch nie einen Hindu-Tempel gesehen habe, hatte ich mir die Türme pompöser vorgestellt.  

Mein Ziel ist zum Greifen nah, doch vor der letzten Abbiegung legt sich mit dem Vorbeirauschen des nächsten Lastwagens nicht nur eine Staubwolke, sondern auch ein beklemmendes Gefühl über mich. Ich sehe Arbeiter in Warnwesten, graue Bauzäune und verbaute Straßen. Alles in mir sagt, dass ich umkehren soll, doch ich hadere mit mir. Die Angst flüstert: Geh nicht weiter, geh zurück zu den Straßen, an denen es Bürgersteige gibt. Wieso fühle ich mich nicht sicher? Wieso gebe ich auf, obwohl ich fast angekommen bin? Ich fühle mich fehl am Platz. Der Mut verlässt mich und ich kehre um.

Ein letztes Mal blicke ich zum Sri-Kamachi-Ampal-Tempel, wie er die Ästhetik des Industriegeländes durchbricht. Es ist eine skurrile Heimat für einen solch heiligen Ort. Im Hintergrund sehe ich die gigantischen Türme eines stillgelegten Atomkraftwerks. Vielleicht ist das alles nur eine Fata Morgana.

In einer Dönerbude gleich neben dem Industriegebiet gehe ich zur Toilette und schieße stimmungsvolle Fotos. Anschließend laufe ich zur Uentroper Kirche, die zwar malerisch aussieht, aber dem Klischee einer Dorfkirche entspricht. Weil mein Bus nur einmal stündlich fährt, laufe ich bis zur nächsten Haltestelle und warte in aller Einsamkeit darauf, wieder ins Stadtzentrum zu fahren. Immerhin gesellt sich ein streunender Hund dazu und versüßt mir die Wartezeit. Dass ich mich in dieser ausgestorbenen Dorfgegend ziemlich unwohl fühle, zeigt mir wieder einmal, dass ich ein echtes Stadtkind bin.

Als endlich der Bus kommt, fahre ich bis zur Innenstadt von Hamm und schlendere noch ein wenig durch die Gassen. Heute ist nichts nach Plan gelaufen, aber das ist in Ordnung. Denn bei Künstlertreffs geht es nicht darum, dass alles nach Plan läuft und man im Sturm die tollsten Sehenswürdigkeiten erobert. Genauso wenig geht es darum, dass ich hier mit Fakten über Hinduismus, Atomkraftwerke oder über die Hammer Kunstszene um mich schmeiße. Es geht ausschließlich um die Eindrücke, die ich sammle. Und so habe ich auf dem Hin- und Rückweg zum Tamilischen Tempel tolle Musik entdeckt, Ideen für neue Geschichten entwickelt und Pläne für den Sommer geschmiedet.

Sri-Kamachi-Ampal-Tempel in Hamm

Ein Tempel im Industriegebiet

Obwohl es noch Frühling ist, habe ich eine Vorahnung von Sommer. Ich sehe durchscheinende Stoffe im Wind, wüstenhafte Techno-Festivals, drückende Hitze und klirrende Eiswürfel. Süßes Radler, das den Nachgeschmack von Hopfen hat und uns das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Wir wollen den nächsten Schluck, wir wollen mehr, denn weil Sommer ist, erwachen wir zum Leben und das Herz pocht wieder. Während wir im Winter den ganzen Tag nur aßen und lagen, können wir jetzt die ganze Nacht trinken und tanzen. Weil alle irgendwohin wollen, müssen wir uns in der Regionalbahn heute zwischen den Füßen hindurchschlängeln. Plötzlich ist das Licht unendlich, und wenn die Sonne untergeht, vergessen wir das Schlafengehen. Jemand hat die Nacht gestohlen.

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, mich bei Künstlertreffs immer wieder an seltsam verlassenen Orten wiederzufinden. Bisher hat es sich immer gelohnt, einfach so lange weiterzugehen, bis ich an meinem Ziel ankomme. Dort ist dann in der Regel alles wieder normal. Doch dieses Mal ist das anders.

Eigentlich hätte schon der Blick auf die Karte Vorwarnung genug sein müssen: Der Tamilische Tempel liegt weit außerhalb des Stadtzentrums von Hamm in einem Industriegebiet, das sich im Stadtbezirk Uentrop befindet. So richtig bewusst wird mir das jedoch erst, als ich an der Uentroper Kirche aussteige und mich in einer ziemlich dörflichen Umgebung wiederfinde. Die Haltestelle liegt direkt vor einem kleinen Netto, der neben einigen Grünflächen und Wohnhäusern der einzige Hinweis auf Leben ist. Weil ich zum jetzigen Zeitpunkt noch darauf vertraue, dass ich meinen Weg zum Hindu-Tempel schon irgendwie finden werde, folge ich der Navigation weiter ins Hinterland.

Mutig laufe ich an verlassenen Häusern vorbei, überquere Bahnübergänge und setze meinen Weg auf Grün- und Seitenstreifen fort, als es keine Bürgersteige mehr gibt. Mehrere Lastwagen rasen mit Tempo 70 an mir vorbei und wirbeln Staub auf, der mir in den Augen brennt. Je näher ich meinem Ziel komme, desto suspekter wird mir die Umgebung, die ganz offensichtlich nicht für Fußgänger gemacht ist. Als ich an dem scheinbar letzten, komplett umzäunten Wohnhaus der Straße ankomme, erblicke ich endlich die bunten Türme des Hindu-Tempels. Aus der Ferne sind die Ornamente kaum zu erkennen und ihre vielen Farben wirken verblichen. Der Anblick ist unwirklich. Obwohl ich ja noch nie einen Hindu-Tempel gesehen habe, hatte ich mir die Türme pompöser vorgestellt.  

Mein Ziel ist zum Greifen nah, doch vor der letzten Abbiegung legt sich mit dem Vorbeirauschen des nächsten Lastwagens nicht nur eine Staubwolke, sondern auch ein beklemmendes Gefühl über mich. Ich sehe Arbeiter in Warnwesten, graue Bauzäune und verbaute Straßen. Alles in mir sagt, dass ich umkehren soll, doch ich hadere mit mir. Die Angst flüstert: Geh nicht weiter, geh zurück zu den Straßen, an denen es Bürgersteige gibt. Wieso fühle ich mich nicht sicher? Wieso gebe ich auf, obwohl ich fast angekommen bin? Ich fühle mich fehl am Platz. Der Mut verlässt mich und ich kehre um.

Ein letztes Mal blicke ich zum Sri-Kamachi-Ampal-Tempel, wie er die Ästhetik des Industriegeländes durchbricht. Es ist eine skurrile Heimat für einen solch heiligen Ort. Im Hintergrund sehe ich die gigantischen Türme eines stillgelegten Atomkraftwerks. Vielleicht ist das alles nur eine Fata Morgana.

In einer Dönerbude gleich neben dem Industriegebiet gehe ich zur Toilette und schieße stimmungsvolle Fotos. Anschließend laufe ich zur Uentroper Kirche, die zwar malerisch aussieht, aber dem Klischee einer Dorfkirche entspricht. Weil mein Bus nur einmal stündlich fährt, laufe ich bis zur nächsten Haltestelle und warte in aller Einsamkeit darauf, wieder ins Stadtzentrum zu fahren. Immerhin gesellt sich ein streunender Hund dazu und versüßt mir die Wartezeit. Dass ich mich in dieser ausgestorbenen Dorfgegend ziemlich unwohl fühle, zeigt mir wieder einmal, dass ich ein echtes Stadtkind bin.

Als endlich der Bus kommt, fahre ich bis zur Innenstadt von Hamm und schlendere noch ein wenig durch die Gassen. Heute ist nichts nach Plan gelaufen, aber das ist in Ordnung. Denn bei Künstlertreffs geht es nicht darum, dass alles nach Plan läuft und man im Sturm die tollsten Sehenswürdigkeiten erobert. Genauso wenig geht es darum, dass ich hier mit Fakten über Hinduismus, Atomkraftwerke oder über die Hammer Kunstszene um mich schmeiße. Es geht ausschließlich um die Eindrücke, die ich sammle. Und so habe ich auf dem Hin- und Rückweg zum Tamilischen Tempel tolle Musik entdeckt, Ideen für neue Geschichten entwickelt und Pläne für den Sommer geschmiedet.