Review des Films Perfect Days: das alltägliche Leben von Hirayama
Du kannst dir hunderte Tiktoks ansehen – oder aber du schaust dir den deutsch-japanischen Film Perfect Days (2023) von Wim Wenders an und spürst die heilsame Wirkung eines entschleunigten Lebens.
Zwei Stunden lang entführt uns der Film Perfect Days von Wim Wenders in den Alltag von Hirayama (Kōji Yakusho), einem Mann Mitte fünfzig, der als Reinigungskraft in einem wohlhabenden Stadtteil von Tokyo die öffentlichen Toiletten reinigt. An jedem seiner Arbeitstage folgt Hirayama einer festen Routine, die neben Zähne putzen und Bart rasieren von seinen kleinen Eigenheiten geprägt ist. So pflegt er liebevoll seine Pflanzen und schaut jeden Morgen in den Himmel, wenn er das Haus verlässt.
Doch der Film zeigt auch, wie seine Routine regelmäßig durch die Menschen, die ihn umgeben, durchbrochen wird: Da ist der quirlige Arbeitskollege Takashi (Tokio Emoto), der für die Eroberung einer Frau Hirayamas Hilfe braucht, oder seine Nichte Niko (Arisa Nakano), die eines Tages vor seiner Haustür auftaucht und ihn bei einem seiner Arbeitstage begleitet.
Perfect Days zeigt ein Leben, wie es wohl die wenigsten heutzutage führen – eines, das von der technisierten und stressigen Welt nahezu unberührt bleibt. Und doch ist der Protagonist so universell, dass sich jeder in ihm wiederfinden kann. Der Film fängt die Schönheit des Alltags ein: Wie Hirayama sich morgens rasiert, sich am Automaten einen Kaffee zieht und mit dem Auto durch das morgendliche Tokyo zur Arbeit fährt. Die ruhige Atmosphäre der Szenen hinterlässt einen so nachhaltigen Eindruck in mir, dass ich auch in meinem Leben vermehrt nach dieser Schönheit suche.
Zur Ästhetik des Films tragen wohl auch die öffentlichen Toilettenhäuschen Tokios bei, deren Architektur elegant anmutet. Wie kleine Wohlfühloasen wirken sie, diese seltsamen Orte, an denen Hirayama seine Arbeit tagtäglich und mit einer ungewöhnlichen Hingabe verrichtet – in gepflegten Parkanlagen und modernen Stadtvierteln. Hirayama arbeitet gründlich und nutzt seine Pausen dazu, mit glänzenden Augen in die Baumkronen zu blicken, Fotos zu machen und die Menschen in seiner Umgebung genau zu beobachten. Er redet wenig und sieht viel.
Dennoch steht die äußere Ästhetik der öffentlichen Toiletten in Kontrast zu seinem Job, bei dem er braune Flecken von Kloschüsseln entfernt und für die Nutzer der Toiletten nahezu unsichtbar bleibt. Die Menschen nehmen ihn nicht richtig wahr oder distanzieren sich von ihm, als wäre Hirayama keine eigenständige Person, sondern reine Ausstattung der Sanitäranlage. Ich fühle mich ertappt – wie oft bin ich an Reinigungskräften vorbeigelaufen, ohne zu grüßen?
Im Laufe des Films frage ich mich außerdem, inwieweit die Arbeit von Hirayama hier romantisiert wird. Kann man tatsächlich jeden Tag mit so viel Hingabe Toiletten putzen? Wie schafft es der Protagonist, in seiner Arbeit so viel Sinn zu finden, sich selbst zu respektieren und in den kleinen Dingen immer wieder Freude zu finden? Der Film gibt nur wenige Antworten auf diese Fragen. Auch die Hintergrundgeschichte von Hirayama wird lediglich angerissen und lässt Raum zum Nachdenken.
Doch vielleicht ist es in dieser Einfachheit leichter, den Sinn des Lebens zu erkennen und dankbar für die Dinge zu sein, die uns umgeben. Leichter, als wenn wir uns in der Komplexität der Welt verlieren.
Trotz der wiederholten Routine, in die uns der Film mitnimmt, bleibt die Handlung abwechslungsreich. Durch das Anhäufen der einzelnen Tage verändert sich nach und nach der Blickwinkel auf das Leben des Protagonisten. War der erste Tag noch spannend und besonders, wirken viele Szenen beim zweiten Mal schon ganz anders. Hirayamas Leben ist wie eine Perlenkette: Erst sehen wir nur eine einzelne Perle und bewerten sie in ihrer ganz eigentümlichen Schönheit, doch je mehr Perlen auf die Kette gefädelt werden, desto eher nehmen wir das Gesamtbild und die Beziehung der einzelnen Perlen zueinander wahr.
Dazu gehören auch die Tage, an denen Hirayams Routine durch äußere Ereignisse ‚gestört‘ wird – gerade sie sind es, die ein neues Licht auf den Protagonisten werfen. Beim Betrachten des Films spürt man, wie die einzelnen Tage immer mehr ineinander verschwimmen und zu einem (wenn auch unvollständigen) Gesamtbild werden. Was genau letztlich die perfect days für den Protagonisten sind, wird wohl sein Geheimnis bleiben.
Immerhin geben die Kassetten, die Hirayama auf der Autofahrt zur Arbeit hört, einen kleinen Einblick in seine Gefühlswelt. Besonders der titelgebende Song von Lou Reed bleibt dabei im Kopf. Die von Hirayama abgespielten Kassetten sind übrigens auch die einzige Musik, die im Film zu hören ist – wir erleben alles so wie der Protagonist. Und es bleibt analog: So fragt Hirayamas Nichte Niko ihn auf einer seiner Autofahrten: „Gibt es den Song auch auf Spotify?“, und Hirayama weiß nicht einmal, was Spotify überhaupt ist.
Jetzt ist jetzt. Und nächstes Mal ist nächstes Mal.
Durch die ruhigen Einstellungen und den minimalistischen Soundtrack ist der Film Perfect Days für mich wie eine Meditation, in der ich den Fluss des Lebens betrachten darf. Ich sehe die aneinandergereihten Autos in der Stadt, den Einbruch der Dämmerung am Morgen, die kleinen zwischenmenschlichen Momente, nervig und schön. All das hat auf mich sehr heilsam gewirkt. Ich bin ja ohnehin ein Fan von nachdenklichen und langsamen Filmen, doch dieser hat mich nachhaltig berührt. Er erinnert mich daran, wie wichtig es ist, im Hier und Jetzt zu sein. Bewusst zu Essen, ohne am Handy zu kleben. In den Himmel zu schauen und die kleinen Dinge zu bewundern: Das Lichtspiel in den Baumkronen, die kleinen Botschaften unserer Umgebung.
Ich empfehle den Film Perfect Days wärmstens – am besten in Originalsprache mit Untertiteln.
Du magst japanische Filme mit Ikigai? Dann schau doch gerne mal in meiner Review zum Film Call Me Chihiro vorbei und lass dich inspirieren!
Review des Films Perfect Days: das alltägliche Leben von Hirayama
Du kannst dir hunderte Tiktoks ansehen – oder aber du schaust dir den deutsch-japanischen Film Perfect Days (2023) von Wim Wenders an und spürst die heilsame Wirkung eines entschleunigten Lebens.
Inhaltsangabe: Worum geht es im Film „Perfect Days“?
Zwei Stunden lang entführt uns der Film Perfect Days in den Alltag von Hirayama (Kōji Yakusho), einem Mann Mitte fünfzig, der als Reinigungskraft in einem wohlhabenden Stadtteil von Tokyo die öffentlichen Toiletten reinigt. An jedem seiner Arbeitstage folgt Hirayama einer festen Routine, die neben Zähne putzen und Bart rasieren von seinen kleinen Eigenheiten geprägt ist. So pflegt er liebevoll seine Pflanzen und schaut jeden Morgen in den Himmel, wenn er das Haus verlässt.
Doch der Film zeigt auch, wie seine Routine regelmäßig durch die Menschen, die ihn umgeben, durchbrochen wird: Da ist der quirlige Arbeitskollege Takashi (Tokio Emoto), der für die Eroberung einer Frau Hirayamas Hilfe braucht, oder seine Nichte Niko (Arisa Nakano), die eines Tages vor seiner Haustür auftaucht und ihn bei einem seiner Arbeitstage begleitet.
Perfect Days zeigt ein Leben, wie es wohl die wenigsten heutzutage führen – eines, das von der technisierten und stressigen Welt nahezu unberührt bleibt. Und doch ist der Protagonist so universell, dass sich jeder in ihm wiederfinden kann. Der Film fängt die Schönheit des Alltags ein: Wie Hirayama sich morgens rasiert, sich am Automaten einen Kaffee zieht und mit dem Auto durch das morgendliche Tokyo zur Arbeit fährt. Die ruhige Atmosphäre der Szenen hinterlässt einen so nachhaltigen Eindruck in mir, dass ich auch in meinem Leben vermehrt nach dieser Schönheit suche.
Protagonist Hirayama: Reinigungskraft mit Hingabe
Zur Ästhetik des Films tragen wohl auch die öffentlichen Toilettenhäuschen Tokios bei, deren Architektur elegant anmutet. Wie kleine Wohlfühloasen wirken sie, diese seltsamen Orte, an denen Hirayama seine Arbeit tagtäglich und mit einer ungewöhnlichen Hingabe verrichtet – in gepflegten Parkanlagen und modernen Stadtvierteln. Hirayama arbeitet gründlich und nutzt seine Pausen dazu, mit glänzenden Augen in die Baumkronen zu blicken, Fotos zu machen und die Menschen in seiner Umgebung genau zu beobachten. Er redet wenig und sieht viel.
Dennoch steht die äußere Ästhetik der öffentlichen Toiletten in Kontrast zu seinem Job, bei dem er braune Flecken von Kloschüsseln entfernt und für die Nutzer der Toiletten nahezu unsichtbar bleibt. Die Menschen nehmen ihn nicht richtig wahr oder distanzieren sich von ihm, als wäre Hirayama keine eigenständige Person, sondern reine Ausstattung der Sanitäranlage. Ich fühle mich ertappt – wie oft bin ich an Reinigungskräften vorbeigelaufen, ohne zu grüßen?
Im Laufe des Films frage ich mich außerdem, inwieweit die Arbeit von Hirayama hier romantisiert wird. Kann man tatsächlich jeden Tag mit so viel Hingabe Toiletten putzen? Wie schafft es der Protagonist, in seiner Arbeit so viel Sinn zu finden, sich selbst zu respektieren und in den kleinen Dingen immer wieder Freude zu finden? Der Film gibt nur wenige Antworten auf diese Fragen. Auch die Hintergrundgeschichte von Hirayama wird lediglich angerissen und lässt Raum zum Nachdenken. Doch vielleicht ist es in der Einfachheit leichter, den Sinn des Lebens zu erkennen und dankbar für die Dinge zu sein, die uns umgeben. Leichter, als wenn wir uns in der Komplexität dieser Welt verlieren.
Film Perfect Days: Eine besondere Perspektive auf das Leben
Trotz der wiederholten Routine, in die uns der Film mitnimmt, bleibt die Handlung abwechslungsreich. Durch das Anhäufen der einzelnen Tage verändert sich nach und nach der Blickwinkel auf das Leben des Protagonisten. War der erste Tag noch spannend und besonders, wirken viele Szenen beim zweiten Mal schon ganz anders. Hirayamas Leben ist wie eine Perlenkette: Erst sehen wir nur eine einzelne Perle und bewerten sie in ihrer ganz eigentümlichen Schönheit, doch je mehr Perlen auf die Kette gefädelt werden, desto eher nehmen wir das Gesamtbild und die Beziehung der einzelnen Perlen zueinander wahr.
Dazu gehören auch die Tage, an denen Hirayams Routine durch äußere Ereignisse ‚gestört‘ wird – gerade sie sind es, die ein neues Licht auf den Protagonisten werfen. Beim Betrachten des Films spürt man, wie die einzelnen Tage immer mehr ineinander verschwimmen und zu einem (wenn auch unvollständigen) Gesamtbild werden. Was genau letztlich die perfect days für den Protagonisten sind, wird wohl sein Geheimnis bleiben.
Immerhin geben die Kassetten, die Hirayama auf der Autofahrt zur Arbeit hört, einen kleinen Einblick in seine Gefühlswelt. Besonders der titelgebende Song von Lou Reed bleibt dabei im Kopf. Die von Hirayama abgespielten Kassetten sind übrigens auch die einzige Musik, die im Film zu hören ist – wir erleben alles so wie der Protagonist. Und es bleibt analog: So fragt Hirayamas Nichte Niko ihn auf einer seiner Autofahrten: „Gibt es den Song auch auf Spotify?“, und Hirayama weiß nicht einmal, was Spotify überhaupt ist.
Entschleunigung in Bildern
„Jetzt ist jetzt. Und nächstes Mal ist nächstes Mal.“
Durch die ruhigen Einstellungen und den minimalistischen Soundtrack ist der Film Perfect Days für mich wie eine Meditation, in der ich den Fluss des Lebens betrachten darf. Ich sehe die aneinandergereihten Autos in der Stadt, den Einbruch der Dämmerung am Morgen, die kleinen zwischenmenschlichen Momente, nervig und schön. All das hat auf mich sehr heilsam gewirkt. Ich bin ja ohnehin ein Fan von nachdenklichen und langsamen Filmen, doch dieser hat mich nachhaltig berührt. Er erinnert mich daran, wie wichtig es ist, im Hier und Jetzt zu sein. Bewusst zu Essen, ohne am Handy zu kleben. In den Himmel zu schauen und die kleinen Dinge zu bewundern: Das Lichtspiel in den Baumkronen, die kleinen Botschaften unserer Umgebung.
Ich empfehle den Film Perfect Days wärmstens – am besten in Originalsprache mit Untertiteln.
Du magst japanische Filme mit Ikigai? Dann schau doch gerne mal in meiner Review zum Film Call Me Chihiro vorbei und lass dich inspirieren!