Winterspaziergang an der Ruhr: ein Ausflug zum Schloss Broich
Diesmal stapfe ich bei meinem Künstlertreff durch den Schnee in Richtung Mülheim an der Ruhr. Die winterliche Atmosphäre steht nicht nur dem Schloss Broich gut, sondern auch allem drumherum: Dem MüGa, der Camera Obscura und dem Ringlokschuppen.
In letzter Zeit habe ich oft das Bedürfnis, wegzulaufen. Ganz weit weg, am liebsten bis nach Aix-en-Provence, in den Parc Jourdan, ans Parking Relais Krypton oder zum Sainte Victoire. Es fühlt sich an, als hätte ich an diesem Ort ein wenig Lebensweisheit versteckt, in einer kleinen Kiste im Wohnheimzimmer.
Hier Zuhause ertrinke ich schnell in Erwartungen und es fällt mir bedeutend schwerer, meine Kreativität zur Priorität zu machen. Und was bedeutet das schon, Prioritäten zu setzen? Ich glaube nicht, dass es bedeutet, vor allem anderen Angst zu haben. Aber für welche Dinge möchte ich mutig sein?
Ich starte mit gemischten Gefühlen in meinen Künstlertreff. Auch wenn es heute nicht Südfrankreich wird, so gibt es doch genügend andere Möglichkeiten, um etwas Abstand zu gewinnen. Dieses Mal fahre ich nach Mülheim an der Ruhr und sehe mir das Schloss Broich an. Und obwohl mir noch immer mulmig zumute ist, spüre ich schon auf der Hinfahrt, dass ich jetzt ein wenig Urlaub habe von all den Gedanken. Ich darf aus dem Fenster sehen und die Welt an mir vorbeiziehen lassen, mit ruhigem Atem und entspanntem Herzschlag.
Nach einer kurzen Fahrt steige ich an der Bushaltestelle Schloss Broich aus und sehe sie schon vor mir: die steinernen Mauern der spätkarolingischen Festung. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das Schloss so zentral liegt und ich hier schon mal gewesen bin – gleich gegenüber befindet sich die schöne Mülheimer Stadthalle mit dem angrenzenden MüGa-Park, durch den ich schon bei meinem letzten Ausflug nach Mülheim spaziert bin. Damals tanzte das Sonnenlicht noch sanft auf dem Wasser der Ruhr; alles schien so leicht zu sein wie die fliegenden Kleider und Hosen der Menschen.
Heute sieht die Welt ganz anders aus. Pudriger Schnee schmückt die Dächer und Straßen der Stadt, es sind minus sechs Grad, und statt Eis zu essen, hetzen die Menschen zum nächstbesten Ort, an dem sie sich aufwärmen können. Die Welt wirkt kantiger, kontrastreicher.
Schnell laufe ich einen Weg entlang, der von der viel befahrenen Straße wegführt. Ich umrunde die hohen Steinmauern und hinterlasse meine laut knarzenden Spuren im Schnee. Schließlich stehe ich in einem Eingang, der mir einen wunderschönen Blick auf den verschneiten Innenhof des Schloss Broich gewährt. Es ist nicht besonders pompös, aber dennoch ein schöner Ort zum Verweilen.
Die Sonne schiebt sich immer wieder zwischen die Wolken und hinterlässt einen rötlichen Schein auf den steinernen Wänden. Rot gemusterte Fensterläden sorgen für die nötige Abwechslung zwischen Grau und Weiß, und der Schnee hat schon einige andere Besucher dazu verleitet, sich hier auszutoben. So schmücken drei Schneemänner die verwinkelten Mauern der Festung, und überall sind Fußspuren in den unterschiedlichsten Formen zu sehen. Kleine Füße, große Füße. Sterne, Herzen, Zacken. Mir fällt auf, wie viel Mühe sich Schuh-Hersteller bei der Gestaltung von Schuhsohlen geben.
Fast schon thematisch passend sind die meisten Winterschuhsohlen mit Stern- oder Schneeflocken-ähnlichen Mustern ausgestattet, die eine schöne Entschädigung für die zerstörte Schneedecke sind. Knarz – ich war hier. Meine Schuhsohlen sind nicht ganz so hübsch, aber immerhin führen sie mich mit trockenen Füßen durch die Schneelandschaft.
Da ich das Schloss von außen recht schnell besichtigt habe, gehe ich weiter an einer kleinen Grünfläche entlang, die von mehreren Drehscheiben mit optischen Täuschungen umrandet ist. Von hier aus laufe ich direkt auf den Mülheimer Ringlokschuppen zu, einem weiteren Denkmal der Industriekultur. Wie der Name schon verrät, ist das Gebäude ringförmig angelegt. Es entstand um die Jahrhundertwende, wo es bis 1943 der Unterstellung von Dampflokomotiven diente, die vom zugehörigen Wasserturm versorgt wurden. Danach hat es immer wieder mal seinen praktischen Nutzen gewechselt, bis 1992 nicht nur das Gelände rundherum, sondern auch der Ringlokschuppen selbst völlig neu strukturiert wurde.
Heute ist der Ringlokschuppen Ruhr eine Koproduktionsstätte für zeitgenössisches Theater, Performance und Tanz in Mülheim, die Kunst- und Kulturschaffenden einen offenen Raum bietet, sich auszuprobieren. Natürlich setze ich auch diesen Ort auf meine Liste. In Mülheim scheint sich eine Sehenswürdigkeit direkt an die andere zu reihen, das gefällt mir ziemlich gut, und ich überlege mir, wie es wohl wäre, in Mülheim zu wohnen. Der hässliche Hauptbahnhof und das schöne Ruhrambiente könnten ein gutes Kontrastprogramm bieten.
Auf meinem weiteren Weg sehe ich gefrorenes Eis, das in der Sonne glänzt, Lichterketten, die für Atmosphäre sorgen und wunderschön angelegte Spazierwege. Und als wäre das alles nicht genug, laufe ich direkt auf ein kleines Museum zu, der Camera Obscura, einem Museum zur Vorgeschichte des Films. Es handelt sich um den ehemaligen Wasserturm, dessen oberste Etage zu der weltgrößten begehbaren Camera Obscura umgebaut worden ist – wie die Mitarbeiterin mit später stolz erzählen wird.
Die unteren Etagen sind als Ausstellungsräume umfunktioniert worden, in denen es etliche Vorläufer unserer heutigen Filme zu sehen gibt. Ich bin ganz alleine in dem kleinen Museum. Erst als ich mit der Mitarbeiterin oben in der Camera Obscura sitze, stößt ein Mann mit seinen Kindern hinzu. Dann zeigt sie uns auf einem großen weißen Tisch die unmittelbare Umgebung. Die Fabrikgebäude und Lagerplätze, die Ruhr und das Rathaus, eine Kreuzung mit Autos. Das alles wird mit einem Spiegel durch ein kleines Loch direkt von außen ins Innere des Turms übertragen, wo wir fasziniert auf die bewegten Bilder schauen dürfen.
Eine Weisheit, die mein früheres Ich auf einen Zettel geschrieben und in einer Kiste im Wohnheimzimmer versteckt hat, als es vom Land des Lichts mit Weisheit angeleuchtet worden ist, lautete: Der Trick ist, nicht vor der Angst wegzulaufen, sondern direkt in sie hineinzugehen.
Winterspaziergang an der Ruhr: ein Ausflug zum Schloss Broich
Diesmal stapfe ich bei meinem Künstlertreff durch den Schnee in Richtung Mülheim an der Ruhr. Die winterliche Atmosphäre steht nicht nur dem Schloss Broich gut, sondern auch allem drumherum: Dem MüGa, der Camera Obscura und dem Ringlokschuppen.
In letzter Zeit habe ich oft das Bedürfnis, wegzulaufen. Ganz weit weg, am liebsten bis nach Aix-en-Provence, in den Parc Jourdan, ans Parking Relais Krypton oder zum Sainte Victoire. Es fühlt sich an, als hätte ich an diesem Ort ein wenig Lebensweisheit versteckt, in einer kleinen Kiste im Wohnheimzimmer. Hier Zuhause ertrinke ich schnell in Erwartungen und es fällt mir bedeutend schwerer, meine Kreativität zur Priorität zu machen. Und was bedeutet das schon, Prioritäten zu setzen? Ich glaube nicht, dass es bedeutet, vor allem anderen Angst zu haben. Aber für welche Dinge möchte ich mutig sein?
Ich starte mit gemischten Gefühlen in meinen Künstlertreff. Auch wenn es heute nicht Südfrankreich wird, so gibt es doch genügend andere Möglichkeiten, um etwas Abstand zu gewinnen. Dieses Mal fahre ich nach Mülheim an der Ruhr und sehe mir das Schloss Broich an. Und obwohl mir noch immer mulmig zumute ist, spüre ich schon auf der Hinfahrt, dass ich jetzt ein wenig Urlaub habe von all den Gedanken. Ich darf aus dem Fenster sehen und die Welt an mir vorbeiziehen lassen, mit ruhigem Atem und entspanntem Herzschlag.
Nach einer kurzen Fahrt steige ich an der Bushaltestelle Schloss Broich aus und sehe sie schon vor mir: die steinernen Mauern der spätkarolingischen Festung. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das Schloss so zentral liegt und ich hier schon mal gewesen bin – gleich gegenüber befindet sich die schöne Mülheimer Stadthalle mit dem angrenzenden MüGa-Park, durch den ich schon bei meinem letzten Ausflug nach Mülheim spaziert bin. Damals tanzte das Sonnenlicht noch sanft auf dem Wasser der Ruhr; alles schien so leicht zu sein wie die fliegenden Kleider und Hosen der Menschen.
Heute sieht die Welt ganz anders aus. Pudriger Schnee schmückt die Dächer und Straßen der Stadt, es sind minus sechs Grad, und statt Eis zu essen, hetzen die Menschen zum nächstbesten Ort, an dem sie sich aufwärmen können. Die Welt wirkt kantiger, kontrastreicher.
Schnell laufe ich einen Weg entlang, der von der viel befahrenen Straße wegführt. Ich umrunde die hohen Steinmauern und hinterlasse meine laut knarzenden Spuren im Schnee. Schließlich stehe ich in einem Eingang, der mir einen wunderschönen Blick auf den verschneiten Innenhof des Schloss Broich gewährt. Es ist nicht besonders pompös, aber dennoch ein schöner Ort zum Verweilen.
Die Sonne schiebt sich immer wieder zwischen die Wolken und hinterlässt einen rötlichen Schein auf den steinernen Wänden. Rot gemusterte Fensterläden sorgen für die nötige Abwechslung zwischen Grau und Weiß, und der Schnee hat schon einige andere Besucher dazu verleitet, sich hier auszutoben. So schmücken drei Schneemänner die verwinkelten Mauern der Festung, und überall sind Fußspuren in den unterschiedlichsten Formen zu sehen. Kleine Füße, große Füße. Sterne, Herzen, Zacken. Mir fällt auf, wie viel Mühe sich Schuh-Hersteller bei der Gestaltung von Schuhsohlen geben. Fast schon thematisch passend sind die meisten Winterschuhsohlen mit Stern- oder Schneeflocken-ähnlichen Mustern ausgestattet, die eine schöne Entschädigung für die zerstörte Schneedecke sind. Knarz – ich war hier. Meine Schuhsohlen sind nicht ganz so hübsch, aber immerhin führen sie mich mit trockenen Füßen durch die Schneelandschaft.
Da ich das Schloss von außen recht schnell besichtigt habe, gehe ich weiter an einer kleinen Grünfläche entlang, die von mehreren Drehscheiben mit optischen Täuschungen umrandet ist. Von hier aus laufe ich direkt auf den Mülheimer Ringlokschuppen zu, einem weiteren Denkmal der Industriekultur. Wie der Name schon verrät, ist das Gebäude ringförmig angelegt. Es entstand um die Jahrhundertwende, wo es bis 1943 der Unterstellung von Dampflokomotiven diente, die vom zugehörigen Wasserturm versorgt wurden. Danach hat es immer wieder mal seinen praktischen Nutzen gewechselt, bis 1992 nicht nur das Gelände rundherum, sondern auch der Ringlokschuppen selbst völlig neu strukturiert wurde.
Heute ist der Ringlokschuppen Ruhr eine Koproduktionsstätte für zeitgenössisches Theater, Performance und Tanz in Mülheim, die Kunst- und Kulturschaffenden einen offenen Raum bietet, sich auszuprobieren. Natürlich setze ich auch diesen Ort auf meine Liste. In Mülheim scheint sich eine Sehenswürdigkeit direkt an die andere zu reihen, das gefällt mir ziemlich gut, und ich überlege mir, wie es wohl wäre, in Mülheim zu wohnen. Der hässliche Hauptbahnhof und das schöne Ruhrambiente könnten ein gutes Kontrastprogramm bieten.
Auf meinem weiteren Weg sehe ich gefrorenes Eis, das in der Sonne glänzt, Lichterketten, die für Atmosphäre sorgen und wunderschön angelegte Spazierwege. Und als wäre das alles nicht genug, laufe ich direkt auf ein kleines Museum zu, der Camera Obscura, einem Museum zur Vorgeschichte des Films. Es handelt sich um den ehemaligen Wasserturm, dessen oberste Etage zu der weltgrößten begehbaren Camera Obscura umgebaut worden ist – wie die Mitarbeiterin mit später stolz erzählen wird.
Die unteren Etagen sind als Ausstellungsräume umfunktioniert worden, in denen es etliche Vorläufer unserer heutigen Filme zu sehen gibt. Ich bin ganz alleine in dem kleinen Museum. Erst als ich mit der Mitarbeiterin oben in der Camera Obscura sitze, stößt ein Mann mit seinen Kindern hinzu. Dann zeigt sie uns auf einem großen weißen Tisch die unmittelbare Umgebung. Die Fabrikgebäude und Lagerplätze, die Ruhr und das Rathaus, eine Kreuzung mit Autos. Das alles wird mit einem Spiegel durch ein kleines Loch von außen direkt ins Innere des Turms übertragen, wo wir fasziniert auf die bewegten Bilder schauen dürfen.
Eine Weisheit, die mein früheres Ich auf einen Zettel geschrieben und in einer Kiste im Wohnheimzimmer versteckt hat, als es vom Land des Lichts mit Weisheit angeleuchtet worden ist, lautete: Der Trick ist, nicht vor der Angst wegzulaufen, sondern direkt in sie hineinzugehen.