Analyse der Lyrics von Alligatoahs Fuck Rock'n'Roll

Was der feine Herr Gatoah uns über Blockaden lehrt
  • 7 Min. Lesezeit
  • 10. Dezember 2023
  • Sonja

Die fünf blockiertesten Künstler und ihre Schaffenskrisen findest du in meiner Analyse der Lyrics von Alligatoah’s Fuck Rock’n’Roll. Inklusive Vorschläge, wie die Blockaden zu lösen sind. 

Als ich bei den Lyrics von Alligatoahs Fuck Rock’n’Roll genauer hinhörte, fühlte ich mich erwischt. Schließlich verkörpert Alligatoah darin jegliche Arten von Künstlern, die sich zutiefst an ihren Blockaden ergötzen, statt das eine zu tun, von dem sie immer sprechen: Kunst zu machen.

Alligatoah zeigt uns, wie bemitleidenswert wir Künstler sind. Auch wenn dieses Mitleid bei ihm eher sarkastisch gemeint ist, leiden wir tatsächlich unter Blockaden, die uns das Künstlerleben schwer machen. Daher möchte ich zeigen, wie furchtbar Recht er hat. Hier also eine Analyse der Künstlertypen und ihrer Blockaden in Alligatoahs Songtext Fuck Rock’n’Roll – denn wie wir wissen, ist Einsicht der erste Weg zur Besserung.  

Part 1: Der Kritiker-Typ

Mein Grundschullehrer lobte meinen Pinselschwung (Art)

Heißt, ich mach‘ nie wieder einen Finger krumm

Ich hab‘ schon was gerissen, ich habe keine Wimpern mehr (Yeah)

Denn ich nehm‘ die Arbeit an meinen Wünschen ernst

Im Kunststudium war mein Trick zum Sparen von Unigebühr’n

Einfach gar nicht Kunst zu studier’n (Easy)

Ich bin mein eigener Lehrer und mein Liebling bin ich

Und bisher war nur Chemieunterricht

 

Was für einen Künstler haben wir hier? Ich würde sagen, den hochnäsigen Typ, der einmal etwas Großartiges erreicht hat, wie etwa ein Kompliment zu erhalten. Statt an den eigenen Zielen zu arbeiten, ist dieser Künstler so sehr von seinem Talent überzeugt, dass er es nicht für nötig hält, etwas dazuzulernen. Da reicht es schon, ein paar Wünsche ins Universum zu pusten, denn: Talent regelt. Dieser Künstler ist vermutlich auch der Typ „Kritiker“, also einer, der immer alles besser könnte als die anderen – wenn er es denn tun würde.

 

Hinter dem Kritiker-Typ versteckt sich allzu oft ein niedriges künstlerisches Selbstwertgefühl. Wenn er schon seine eigenen Wünsche nicht umsetzt, dann kann er wenigstens die anderen von seinem Künstlerdasein überzeugen. Sein ehemaliger Ruhm ist es, der ihn lähmt: Alles, was er von jetzt an hervorbringt, muss genauso großartig sein wie sein erster Erfolg. Statt weiter an seinen Fähigkeiten zu arbeiten, ruht er sich vorsichtshalber auf seinen Lorbeeren aus. So kann er sich immerhin einreden, ein großer Künstler (gewesen) zu sein.

Pre-Hooks: Der Inspirationssammler

Mein Debüt? Heute nicht

Ich kann nur schreiben, wenn Neumond ist

Was ich mach‘ im Spritzenlager der Entbindungsstation?

Ich sammel‘ Inspiration

 

Mein Debüt? Bruder, ich denk‘ nicht

Ich kann nur schreiben, wenn Fußball-WM ist (C’est la vie)

Eigentlich kann ich den Stift beiseitelegen, denn

Die besten Geschichten schreibt das Leben – los, schreib, Leben!

 

Mein Debüt? Ist noch ein längerer Weg

Ich kann nur schreiben bei Inzidenz unter zehn

Gar nicht mal so gut, wenn man mit Keta übertreibt

Ich bin der nicht mehr lang lebende Beweis, ja

 

Der Inspirationssammler wartet stets auf den richtigen Augenblick, um seine Kunst auszuüben. Im Unterschied zum Kritiker-Typ ist er tatsächlich künstlerisch tätig, zumindest alle paar Jahre. Es ist derjenige, der in Gesprächen stolz erzählt, dass er zum Schreiben „in der richtigen Stimmung“ sein müsse. Überzeugt davon, dass er nur in vor Inspiration überschäumenden Flow-Momenten zur richtigen Uhrzeit am richtigen Ort kreativ werden kann, verbringt er neunzig Prozent seiner Zeit mit Warten. Vielleicht kommen die Geschichten dann ja ganz von allein: „Los, schreib, Leben!“

 

Strenge Selbstbezichtigung und Selbstverachtung sind die Quelle seines endlosen Wartens auf künstlerische Produktivität. Womöglich will der Inspirationssammler gar nicht wissen, wie glücklich er als schaffender Künstler sein könnte. Lieber bleibt er dort, wo er ist – auf dem Sofa, wo er gemütlich auf den Luxus warten kann, sich inspiriert zu fühlen. Dabei kann man auch ohne Inspiration ausgezeichnet schreiben: „Es ist der Akt des Schreibens, der die Ideen zu Tage fördert. Es sind nicht die Ideen, die das Schreiben bewirken“, sagt Julia Cameron. Und damit hat sie Recht.

Hook: Der Schattenkünstler

I like sex, drugs, rock ’n‘ roll (Rock ’n‘ roll)

You know what? (You know what?) Fuck rock ’n‘ roll (Rock ’n‘ roll)

I like sex, drugs, you know what? (You know what?)

I like sex, drugs, that’s enough, ayy

I like sex, drugs, rock ’n‘ roll (Rock ’n‘ roll)

You know what? (You know what?) Fuck rock ’n‘ roll (Rock ’n‘ roll)

I like sex, drugs, you know what? (You know what?)

I like sex, drugs, that’s enough, ayy

 

Kommen wir zu Alligatoah’s nächstem Künstler-Typus, der vor allem im Musikvideo hervorragend zur Geltung kommt. Es ist derjenige, der wirklich alles tut, was auch nur im entferntesten Sinne mit seiner Kunstform zu tun hat. Lediglich die Kunst selbst lässt er aus: „Fuck Rock’n’Roll“. Es handelt sich um einen klassischen Schattenkünstler, ein Wesen, das man sehr häufig unter den blockierten Künstlern findet. Der Schattenkünstler liebt es, sich ganz nah an das Objekt der Begierde anzuschmiegen, es fast abgöttisch zu lieben – doch eine tatsächliche Berührung kommt für ihn nicht infrage.

 

Die Schreibmaschine ist von einer solch heiligen Aura umgeben, dass der blockierte Schriftsteller meint, er könne zu Stein werden, wenn er auch nur den ersten Buchstaben tippe. Lieber arbeitet er als Lektor an den Texten anderer. Als Schauspielagent entdeckt der Schattenkünstler die großen Talente, ignoriert jedoch sein eigenes. Das tief im Inneren verborgene Ziel, selbst ein Künstlerleben zu führen, wird so stark idealisiert, dass sich der Schattenkünstler für nicht gut genug hält. Statt im Rampenlicht zu stehen, bleibt er lieber im Schatten eines anderen – immerhin kreist sein Stecker um die Kabelbuchse.

 

Sowohl der Inspirationssammler als auch der Schattenkünstler idealisieren und überhöhen den Moment des Kunstschaffens. Auf ihre Angst und Entmutigung reagieren sie unterschiedlich: Der Inspirationssammler läuft weg, der Schattenkünstler schmiegt sich an. Dabei müssten sie doch nur nach dem Werkzeug ihrer Wahl greifen und sich in die Arbeit stürzen wie ein Hund in die Matschpfütze. Denn Kunst zu machen ist nicht magisch. Es ist schmutzig und trivial.

Part 2: Der selbstverliebte Künstler

Hi, na? Heute allein hier? Ja, ich hab‘ ’ne Band

Was wir für Mucke machen? Was für Mucke magst du denn? (Hmm)

Komm nach Hause zu mir, ich ficke dich heute auf dem Klavier

Ich hoffe, du hast keine Stauballergie (Alright)

Kunst ist nur authentisch, wenn man auf sein Leben zeigt

Vielleicht schreib‘ ich ein Drehbuch über jemand, der kein Drehbuch schreibt (Möglich)

Von deutschen Film’n halte ich prinzipiell Mindestabstand (Ja)

Ich würde ja eigene machen (Ja), aber das Publikum (Ja) hier ist so intolerant (Ey)

 

Dem selbstverliebten Künstler verschafft die Blockade einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: „Ein blockierter [Künstler] löst Mitgefühl aus. Man erhält eine Menge Aufmerksamkeit, wenn man anerkannt großartig, allerdings zur Zeit leider blockiert ist. Die anderen fühlen sich dann auch weit weniger bedroht als von einem [Künstler], der großartig ist und noch dazu ausgezeichnet funktioniert.“ Dazu macht er sich das Idealbild des exzentrischen Rock-Stars zunutze, der seine vielen Groupies nicht musikalisch, sondern körperlich fickt. Willst du sie haben, dann brauchst du Narben!

 

Der selbstverliebte Künstler versinkt allzu gerne in seinem Selbstmitleid. Wenn er sich an die Schreibmaschine setzt, erzählt er geschwollen von einem Protagonisten, der es einfach nicht schafft, etwas zu schreiben – das ist so schön authentisch und dramatisch. Die Schuld an seinem Scheitern gibt er in der Regel den anderen.

 

„Kreative Menschen […] setzen ihre Ängste vor […] umwälzenden Veränderungen auf höchst dramatische Weise ein, um sich vor ihrer eigenen Kreativität zu drücken. Indem wir uns der Fantasie hingeben, dass wir uns ganztägig unserer Kunst widmen, verpassen wir leicht die Gelegenheit, sie auch nur halbtags – oder überhaupt – auszuüben.“

Part 3: Der süchtige Künstler

Tu​pac-Shakur-Look, Tourbus, nur Suff

Wenn ich nur weiter auf dem Tisch tanze, kommt der Durchbruch

Nächsten Monat könnten wir proben, um keine Zeit zu verlier’n (Oh)

Nächsten Monat ist schlecht, da habe ich schon einen Termin (Sorry)

Ich will doch nur drei Tage rumliegen, ohne dass einer stört, okay? (Okay)

Mein Vorbild ist der sehr, sehr späte Kurt Cobain

Ein Schluck auf den Boden für alle meine toten Kollegen

Der Rest der Flasche ist für meine Solokarriere

 

In sämtlichen Parts wird auf diverse Drogen eingegangen. Ob im „Chemieunterricht“, im „Spritzenlager der Entbindungsstation“, beim Konsumieren vom „Rest der Flasche“ oder „Keta“ – Drogen sind vor allem im Rock’n’Roll, aber auch ganz allgemein in der Kunstwelt ein Thema. In Part 3 hat der Typus des süchtigen Künstlers seinen großen Durchbruch, als er besoffen auf dem Tisch tanzt.

 

„Manche Menschen blockieren sich mit ihrer Ernährung. […] Für andere ist Alkohol das bevorzugte Mittel der Selbstblockade. Wieder andere konsumieren Drogen. Für viele ist es ihre Arbeit. […] Dann gibt es jene, die sich durch eine schmerzliche Liebe betäuben und sich ihre kreativen Möglichkeiten aus der Hand nehmen lassen. […] Für viele ist Sex der ganz große Blockierer. Ein magnetisches, angenehm erregendes, hypnotisches Interesse schieb neue erotische Möglichkeiten vor den angefangenen Roman.“

 

Der süchtige Künstler versucht die ängstlichen Gefühle, die er gegenüber seiner Kunst empfindet, durch andere Glücksgefühle zu übertönen. Nach ein, zwei Gläsern Wein spricht die zweifelnde Stimme der weißen Leinwand etwas leiser. Doch mit der Zeit wird der Künstler co-abhängig: Er kann nur noch malen, wenn sein Maler-Ich besoffen ist. Spätestens nach dem vierten Glas gibt es keine geraden Linien mehr, nur den Rest der Flasche.

Fazit der Analyse: Kunst machen muss schrecklich sein

Alligatoahs Song Fuck Rock’n’Roll macht in erster Linie deutlich, wie absurd unsere künstlerische Selbstsabotage ist. Kunst zu machen scheint ziemlich schrecklich zu sein, so sehr wie wir uns davor drücken und nach immer neuen Ausreden suchen. „Sie wollen mir also sagen, dass ich etwas tun muss, damit es mir besser geht?“, frage ich entrüstet, sobald der feine Herr Gatoah auf meine bemitleidenswerten Strategien hinweist. Die Kunstwelt ist nun mal keine schillernde Magiewelt voller Regenbögen pupsender Einhörner. Solltest du dich also in mindestens zwei der hier aufgelisteten Typen wiedererkennen, empfehle ich dir, etwas gegen das Krankheitsbild „Blockierter Künstler“ zu tun, zum Beispiel Alligatoah hören oder Julia Cameron lesen. Alligatoah jedenfalls scheint seine Angst vor’m Rock’n’Roll besiegt zu haben.

Text- und Bildquellen:

Alligatoah – Fuck Rock’n’Roll. Für den Link auf eines der Bilder klicken. 

Songtext: https://genius.com/Alligatoah-fuck-rock-n-roll-lyrics

Julia Cameron: Der Weg des Künstlers. Ein spiritueller Pfad zur Aktivierung unserer Kreativität. Knaur Taschenbuch 2009.

Julia Cameron: Von der Kunst des kreativen Schreibens. Der Weg zum inspirierten Schriftsteller. Autorenhaus Verlag 2018.

Was der feine Herr Gatoah uns über Blockaden lehrt

Analyse der Lyrics von Alligatoahs Fuck Rock'n'Roll

  • 10. Dezember 2023 – 7 Min. Lesezeit

Die fünf blockiertesten Künstler und ihre Schaffenskrisen findest du in meiner Analyse der Lyrics von Alligatoah’s Fuck Rock’n’Roll. Inklusive Vorschläge, wie die Blockaden zu lösen sind. 

Als ich bei den Lyrics von Alligatoahs Fuck Rock’n’Roll genauer hinhörte, fühlte ich mich erwischt. Schließlich verkörpert Alligatoah darin jegliche Arten von Künstlern, die sich zutiefst an ihren Blockaden ergötzen, statt das eine zu tun, von dem sie immer sprechen: Kunst zu machen.

Alligatoah zeigt uns, wie bemitleidenswert wir Künstler sind. Auch wenn dieses Mitleid bei ihm eher sarkastisch gemeint ist, leiden wir tatsächlich unter Blockaden, die uns das Künstlerleben schwer machen. Daher möchte ich zeigen, wie furchtbar Recht er hat. Hier also eine Analyse seiner Künstlertypen und ihrer Blockaden – denn wie wir wissen, ist Einsicht der erste Weg zur Besserung.  

Part 1: Der Kritiker-Typ

Mein Grundschullehrer lobte meinen Pinselschwung (Art)

Heißt, ich mach‘ nie wieder einen Finger krumm

Ich hab‘ schon was gerissen, ich habe keine Wimpern mehr (Yeah)

Denn ich nehm‘ die Arbeit an meinen Wünschen ernst

Im Kunststudium war mein Trick zum Sparen von Unigebühr’n

Einfach gar nicht Kunst zu studier’n (Easy)

Ich bin mein eigener Lehrer und mein Liebling bin ich

Und bisher war nur Chemieunterricht

 

Was für einen Künstler haben wir hier? Ich würde sagen, den hochnäsigen Typ, der einmal etwas Großartiges erreicht hat, wie etwa ein Kompliment zu erhalten. Statt an den eigenen Zielen zu arbeiten, ist dieser Künstler so sehr von seinem Talent überzeugt, dass er es nicht für nötig hält, etwas dazuzulernen. Da reicht es schon, ein paar Wünsche ins Universum zu pusten, denn: Talent regelt. Dieser Künstler ist vermutlich auch der Typ „Kritiker“, also einer, der immer alles besser könnte als die anderen – wenn er es denn tun würde.

 

Hinter dem Kritiker-Typ versteckt sich allzu oft ein niedriges künstlerisches Selbstwertgefühl. Wenn er schon seine eigenen Wünsche nicht umsetzt, dann kann er wenigstens die anderen von seinem Künstlerdasein überzeugen. Sein ehemaliger Ruhm ist es, der ihn lähmt: Alles, was er von jetzt an hervorbringt, muss genauso großartig sein wie sein erster Erfolg. Statt weiter an seinen Fähigkeiten zu arbeiten, ruht er sich vorsichtshalber auf seinen Lorbeeren aus. So kann er sich immerhin einreden, ein großer Künstler (gewesen) zu sein.

Pre-Hooks: Der Inspirationssammler

Mein Debüt? Heute nicht

Ich kann nur schreiben, wenn Neumond ist

Was ich mach‘ im Spritzenlager der Entbindungsstation?

Ich sammel‘ Inspiration

 

Mein Debüt? Bruder, ich denk‘ nicht

Ich kann nur schreiben, wenn Fußball-WM ist (C’est la vie)

Eigentlich kann ich den Stift beiseitelegen, denn

Die besten Geschichten schreibt das Leben – los, schreib, Leben!

 

Mein Debüt? Ist noch ein längerer Weg

Ich kann nur schreiben bei Inzidenz unter zehn

Gar nicht mal so gut, wenn man mit Keta übertreibt

Ich bin der nicht mehr lang lebende Beweis, ja

 

Der Inspirationssammler wartet stets auf den richtigen Augenblick, um seine Kunst auszuüben. Im Unterschied zum Kritiker-Typ ist er tatsächlich künstlerisch tätig, zumindest alle paar Jahre. Es ist derjenige, der in Gesprächen stolz erzählt, dass er zum Schreiben „in der richtigen Stimmung“ sein müsse. Überzeugt davon, dass er nur in vor Inspiration überschäumenden Flow-Momenten zur richtigen Uhrzeit am richtigen Ort kreativ werden kann, verbringt er neunzig Prozent seiner Zeit mit Warten. Vielleicht kommen die Geschichten dann ja ganz von allein: „Los, schreib, Leben!“

 

Strenge Selbstbezichtigung und Selbstverachtung sind die Quelle seines endlosen Wartens auf künstlerische Produktivität. Womöglich will der Inspirationssammler gar nicht wissen, wie glücklich er als schaffender Künstler sein könnte. Lieber bleibt er dort, wo er ist – auf dem Sofa, wo er gemütlich auf den Luxus warten kann, sich inspiriert zu fühlen. Dabei kann man auch ohne Inspiration ausgezeichnet schreiben: „Es ist der Akt des Schreibens, der die Ideen zu Tage fördert. Es sind nicht die Ideen, die das Schreiben bewirken“, sagt Julia Cameron. Und damit hat sie Recht.

Hook: Der Schattenkünstler

I like sex, drugs, rock ’n‘ roll (Rock ’n‘ roll)

You know what? (You know what?) Fuck rock ’n‘ roll (Rock ’n‘ roll)

I like sex, drugs, you know what? (You know what?)

I like sex, drugs, that’s enough, ayy

I like sex, drugs, rock ’n‘ roll (Rock ’n‘ roll)

You know what? (You know what?) Fuck rock ’n‘ roll (Rock ’n‘ roll)

I like sex, drugs, you know what? (You know what?)

I like sex, drugs, that’s enough, ayy

 

Kommen wir zu Alligatoahs nächstem Künstler-Typus, der vor allem im Musikvideo hervorragend zur Geltung kommt. Es ist derjenige, der wirklich alles tut, was auch nur im entferntesten Sinne mit seiner Kunstform zu tun hat. Lediglich die Kunst selbst lässt er aus: „Fuck Rock’n’Roll“. Es handelt sich um einen klassischen Schattenkünstler, ein Wesen, das man sehr häufig unter den blockierten Künstlern findet. Der Schattenkünstler liebt es, sich ganz nah an das Objekt der Begierde anzuschmiegen, es fast abgöttisch zu lieben – doch eine tatsächliche Berührung kommt für ihn nicht infrage.

 

Die Schreibmaschine ist von einer solch heiligen Aura umgeben, dass der blockierte Schriftsteller meint, er könne zu Stein werden, wenn er auch nur den ersten Buchstaben tippe. Lieber arbeitet er als Lektor an den Texten anderer. Als Schauspielagent entdeckt der Schattenkünstler die großen Talente, ignoriert jedoch sein eigenes. Das tief im Inneren verborgene Ziel, selbst ein Künstlerleben zu führen, wird so stark idealisiert, dass sich der Schattenkünstler für nicht gut genug hält. Statt im Rampenlicht zu stehen, bleibt er lieber im Schatten eines anderen – immerhin kreist sein Stecker um die Kabelbuchse.

 

Sowohl der Inspirationssammler als auch der Schattenkünstler idealisieren und überhöhen den Moment des Kunstschaffens. Auf ihre Angst und Entmutigung reagieren sie unterschiedlich: Der Inspirationssammler läuft weg, der Schattenkünstler schmiegt sich an. Dabei müssten sie doch nur nach dem Werkzeug ihrer Wahl greifen und sich in die Arbeit stürzen wie ein Hund in die Matschpfütze. Denn Kunst zu machen ist nicht magisch. Es ist schmutzig und trivial.

Part 2: Der selbstverliebte Künstler

Hi, na? Heute allein hier? Ja, ich hab‘ ’ne Band

Was wir für Mucke machen? Was für Mucke magst du denn? (Hmm)

Komm nach Hause zu mir, ich ficke dich heute auf dem Klavier

Ich hoffe, du hast keine Stauballergie (Alright)

Kunst ist nur authentisch, wenn man auf sein Leben zeigt

Vielleicht schreib‘ ich ein Drehbuch über jemand, der kein Drehbuch schreibt (Möglich)

Von deutschen Film’n halte ich prinzipiell Mindestabstand (Ja)

Ich würde ja eigene machen (Ja), aber das Publikum (Ja) hier ist so intolerant (Ey)

 

Dem selbstverliebten Künstler verschafft die Blockade einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: „Ein blockierter [Künstler] löst Mitgefühl aus. Man erhält eine Menge Aufmerksamkeit, wenn man anerkannt großartig, allerdings zur Zeit leider blockiert ist. Die anderen fühlen sich dann auch weit weniger bedroht als von einem [Künstler], der großartig ist und noch dazu ausgezeichnet funktioniert.“ Dazu macht er sich das Idealbild des exzentrischen Rock-Stars zunutze, der seine vielen Groupies nicht musikalisch, sondern körperlich fickt. Willst du sie haben, dann brauchst du Narben!

 

Der selbstverliebte Künstler versinkt allzu gerne in seinem Selbstmitleid. Wenn er sich an die Schreibmaschine setzt, erzählt er geschwollen von einem Protagonisten, der es einfach nicht schafft, etwas zu schreiben – das ist so schön authentisch und dramatisch. Die Schuld an seinem Scheitern gibt er in der Regel den anderen.

 

„Kreative Menschen […] setzen ihre Ängste vor […] umwälzenden Veränderungen auf höchst dramatische Weise ein, um sich vor ihrer eigenen Kreativität zu drücken. Indem wir uns der Fantasie hingeben, dass wir uns ganztägig unserer Kunst widmen, verpassen wir leicht die Gelegenheit, sie auch nur halbtags – oder überhaupt – auszuüben.“

Part 3: Der süchtige Künstler

Tu​pac-Shakur-Look, Tourbus, nur Suff

Wenn ich nur weiter auf dem Tisch tanze, kommt der Durchbruch

Nächsten Monat könnten wir proben, um keine Zeit zu verlier’n (Oh)

Nächsten Monat ist schlecht, da habe ich schon einen Termin (Sorry)

Ich will doch nur drei Tage rumliegen, ohne dass einer stört, okay? (Okay)

Mein Vorbild ist der sehr, sehr späte Kurt Cobain

Ein Schluck auf den Boden für alle meine toten Kollegen

Der Rest der Flasche ist für meine Solokarriere

 

In sämtlichen Parts wird auf diverse Drogen eingegangen. Ob im „Chemieunterricht“, im „Spritzenlager der Entbindungsstation“, beim Konsumieren vom „Rest der Flasche“ oder „Keta“ – Drogen sind vor allem im Rock’n’Roll, aber auch ganz allgemein in der Kunstwelt ein Thema. In Part 3 hat der Typus des süchtigen Künstlers seinen großen Durchbruch, als er besoffen auf dem Tisch tanzt.

 

„Manche Menschen blockieren sich mit ihrer Ernährung. […] Für andere ist Alkohol das bevorzugte Mittel der Selbstblockade. Wieder andere konsumieren Drogen. Für viele ist es ihre Arbeit. […] Dann gibt es jene, die sich durch eine schmerzliche Liebe betäuben und sich ihre kreativen Möglichkeiten aus der Hand nehmen lassen. […] Für viele ist Sex der ganz große Blockierer. Ein magnetisches, angenehm erregendes, hypnotisches Interesse schieb neue erotische Möglichkeiten vor den angefangenen Roman.“

 

Der süchtige Künstler versucht die ängstlichen Gefühle, die er gegenüber seiner Kunst empfindet, durch andere Glücksgefühle zu übertönen. Nach ein, zwei Gläsern Wein spricht die zweifelnde Stimme der weißen Leinwand etwas leiser. Doch mit der Zeit wird der Künstler co-abhängig: Er kann nur noch malen, wenn sein Maler-Ich besoffen ist. Spätestens nach dem vierten Glas gibt es keine geraden Linien mehr, nur den Rest der Flasche.

Fazit: Kunst machen muss schrecklich sein

Alligatoahs Song Fuck Rock’n’Roll macht in erster Linie deutlich, wie absurd unsere künstlerische Selbstsabotage ist. Kunst zu machen scheint ziemlich schrecklich zu sein, so sehr wie wir uns davor drücken und nach immer neuen Ausreden suchen. „Sie wollen mir also sagen, dass ich etwas tun muss, damit es mir besser geht?“, frage ich entrüstet, sobald der feine Herr Gatoah auf meine bemitleidenswerten Strategien hinweist. Die Kunstwelt ist nun mal keine schillernde Magiewelt voller Regenbögen pupsender Einhörner. Solltest du dich also in mindestens zwei der hier aufgelisteten Typen wiedererkennen, empfehle ich dir, etwas gegen das Krankheitsbild „Blockierter Künstler“ zu tun, zum Beispiel Alligatoah hören oder Julia Cameron lesen. Alligatoah jedenfalls scheint seine Angst vor’m Rock’n’Roll besiegt zu haben.

Text- und Bildquellen:

Alligatoah – Fuck Rock’n’Roll. Für den Link auf eines der Bilder klicken. 

Songtext: https://genius.com/Alligatoah-fuck-rock-n-roll-lyrics

Julia Cameron: Der Weg des Künstlers. Ein spiritueller Pfad zur Aktivierung unserer Kreativität. Knaur Taschenbuch 2009.

Julia Cameron: Von der Kunst des kreativen Schreibens. Der Weg zum inspirierten Schriftsteller. Autorenhaus Verlag 2018.