Künstlertreff

Ruhrtriennale 2023: Jetzt & Jetzt – Zwei Jahre eines Lebens

  • 5 Min. Lesezeit
  • 12. September 2023
  • Sonja

Review der Installation Jetzt & Jetzt auf der Ruhrtriennale 2023.

Auf der Ruhrtriennale 2023 hat mich bereits die Performance Skatepark sehr begeistert. Da das Festival der Künste noch mehr zu bieten hat, sehe ich mir für meinen neusten Künstlertreff die Installation Jetzt & Jetzt von Mats Staub an.

In der Video-Installation Jetzt & Jetzt, die im Rahmen der Ruhrtriennale noch bis zum 23. September in der Bochumer Turbinenhalle zu sehen ist, werden Momentaufnahmen von insgesamt hundert Menschen gezeigt. Die Altersspanne liegt dabei von 8 bis 82 Jahren.  Für das Projekt hat sich jede der Personen im Spätsommer 2021 eine Minute lang im Spiegel betrachtet, um dort etwa zwei Jahre später ihrem früheren Ich erneut zu begegnen. Jede Person reflektiert darüber, auf welche Weise sie sich innerlich wie äußerlich verändert hat. Als Besucher können wir nicht nur ihre Selbstbegegnung im Spiegel beobachten, sondern auch ihre Lieblingslieder und Lebensgeschichten anhören: Wer sie waren, wer sie sind und wer sie einmal sein wollen.

Durch den Westpark zur Turbinenhalle

Erneut führt mich mein Künstlertreff in die Nähe der Jahrhunderthalle. So stolpere ich nun schon zum zweiten Mal auf den riesigen Kopfsteinpflaster-Treppen in Richtung Westpark. Dieses Mal entscheide ich mich jedoch dazu, etwas länger durch den Park zu schlendern und das Industrieflair zu genießen. Intuitiv durchquere ich ein kleines Waldstück, das neben Müll und Unkraut auch von surrenden Schmetterlingen und Libellen bevölkert wird, und gelange zu einer langen Brücke mit eindrucksvollem Blick auf den Westpark mitsamt Jahrhunderthalle und Turbinenhalle.

Auf der saftig grünen Rasenfläche vor den Hallen haben es sich einige Leute zum Sonnen gemütlich gemacht, viele sind mit dem Fahrrad hergekommen. Die flirrende Hitze wirkt wie ein Wattebausch, der alle Sinne betäubt: Gleißendes Sonnenlicht lässt die Augen erblinden, Hitze legt sich über alle Geräusche und dörrt Gerüche aus, und das Einzige was bleibt, ist das brennende Sonnengefühl auf der Haut. Dabei bin ich ja nicht in der Wüste, sondern bloß in Bochum.

Andächtige Stille in der Turbinenhalle

In der Turbinenhalle bekomme ich von dem grünen Wüstenfeeling nichts mehr mit. Das hier ist eine eigene Welt. Die Turbinenhalle ist eine wunderschöne, vom Alter gezeichnete Industriehalle und ein tolles Setting für diese Installation. Die Mitarbeiter der Ruhrtriennale sprechen sehr leise mit mir, weil es an diesem Ort um das Zuhören und Reflektieren geht und niemand gestört werden soll. Ich bekomme also einen Audioguide mit Kopfhörern sowie eine Dauerkarte in die Hand gedrückt, mit der ich jederzeit herkommen kann, solange die Installation noch läuft. Dann gehe ich hinein und werfe einen ersten Blick auf die riesigen Bildschirme. Schon jetzt hat dieser Ort eine besondere Wirkung auf mich – alles hier lädt zum Nachdenken ein, es herrscht eine durchweg andächtige Stimmung, fast wie in einer Kirche. Ein paar andere Besucher:innen sitzen auf dem Boden oder auf den gepolsterten Bänken, die in der Mitte der Halle stehen. Ich freue mich schon darauf, mir die verschiedenen Menschen anzusehen und einen kleinen Einblick in ihre individuellen Lebensgeschichten zu erhalten. Hundert Menschen, verteilt auf insgesamt zehn Displays – ich weiß kaum, wo ich anfangen soll.  

Vergangenheit: Erinnerungen an mich selbst

Ich beginne chronologisch bei der jüngsten Generation. Bevor ich mir etwas anhöre, sehe ich zunächst allen Kindern und Jugendlichen dabei zu, wie sie im Spiegel sich selbst begegnen. Beim Beobachten der Personen bemerke ich, dass ich auf einige der Geschichten besonders neugierig bin. Das hat nicht immer einen bestimmten Grund, doch oft ist es eine Veränderung oder Reaktion der Person, die mich besonders fasziniert. Nachdem ich alle ein kleines bisschen kennengelernt habe, höre ich mir einige der Erzählungen oder Lieblingslieder an. 

Ehrlich gesagt bin ich ziemlich schnell gerührt. Die kleinen und großen Fragen, die diese jungen Menschen umtreiben, versetzen mich in meine eigene Kindheit und Jugend zurück. So spielen Geburtstagsgeschenke, wechselnde Hobbys und Freundschaften hier eine noch ganz andere Rolle, als zum Beispiel bei jungen Erwachsenen, die eher von ihrer beruflichen Selbstverwirklichung erzählen. Und so manche Lieblingslieder bekommen im Zusammenhang mit der Identität einer anderen Person plötzlich eine ganz neue emotionale Bedeutung, auch für mich. Ich hatte mir eigentlich schon gedacht, dass mich Jetzt & Jetzt berühren würde – und doch trifft es mich völlig unvorbereitet.

Gegenwart: Die Universalität des Menschseins

Ich kann die gezeigten Menschen schon durch die Art und Weise kennenlernen, wie sie sich selbst im Spiegel begegnen: Betrachten sie sich schüchtern und fragend? Nicken sie sich selbstbewusst und glücklich zu? Haben sie ein eher zufriedenes Lächeln auf den Lippen oder einen ernsten und faszinierten Blick, wenn sie sich im Spiegel ansehen? Daher ist es besonders spannend, nicht sofort in die Erzählungen reinzuhören, sondern die Personen zunächst auf mich wirken zu lassen. Erst danach höre ich mir ihre Geschichten an.

Die Installation bietet darüber hinaus viel Raum, auch in mich selbst hineinzuhorchen. Ich stelle mir Fragen wie: In welcher Lebensphase stecke ich gerade? Wie sehr habe ich mich in den letzten anderthalb oder zwei Jahren verändert? Wie würde ich meinem alten Ich begegnen? Und ich kann mich ins Verhältnis setzen zu anderen Menschen und erkennen, wie universell das Menschsein ist. Meine eigenen Erfahrungen sind vielleicht gar nicht so einzigartig, wie ich oft denke. Eigentlich habe ich ziemlich viel mit diesen Menschen gemeinsam. Das ist die Universalität des Menschseins, der wir in Jetzt & Jetzt begegnen können.

Zukunft: Was mich vielleicht noch erwartet

Von den zehn Bildschirmen und Altersgruppen schaffe ich es nur bis zum vierten Bildschirm, auf dem die etwa 30-Jährigen zu sehen sind. Danach bin ich leider kaum noch aufnahmefähig. Doch so viel Material, wie es im Rahmen der Installation zu sehen und zu hören gibt, kann sich ohnehin keiner an einem Tag aneignen – daher die Dauerkarte. Ich hoffe sehr, dass ich es schaffe, noch einmal herzukommen. Nach diesem Einblick in das Leben anderer – und damit auch in meine eigene Vergangenheit und Gegenwart – bin ich erst recht gespannt auf die höheren Altersgruppen. Was kann ich von ihnen über meine Zukunft lernen? Was aus ihren verschiedenen Vergangenheiten und Gegenwarten lesen? Wird mir einiges davon vielleicht selbst einmal durch den Kopf gehen?

Für heute werde ich mich jedoch verabschieden. Es war wunderschön, meine Zeit und Aufmerksamkeit diesen unbekannten Personen zu widmen, mich in sie einzufühlen und über das menschliche Leben nachzudenken. Insgesamt ist das Ruhrtriennale-Projekt Jetzt & Jetzt weniger eine Installation als vielmehr eine zutiefst menschliche Begegnung.

Laufzeit: 25. August – 23. September 2023

Mi–Fr 15 – 20.30 Uhr

Sa–So 12 – 20.30 Uhr

Sa 23. September von 12 – 22 Uhr geöffnet.

 

„Jetzt & Jetzt ist eine einzigartige Momentaufnahme, die es ermöglicht, zwei Gegenwarten eines Menschen im Dialog zu erleben und dabei sich selbst und unsere Gesellschaft zu befragen.“

Künstlertreff

Ruhrtriennale 2023: Jetzt & Jetzt

Review der Installation Jetzt & Jetzt auf der Ruhrtriennale 2023

Auf der Ruhrtriennale 2023 hat mich bereits die Performance Skatepark sehr begeistert. Da das Festival der Künste noch mehr zu bieten hat, sehe ich mir für meinen neusten Künstlertreff die Installation Jetzt & Jetzt von Mats Staub an.

In der Video-Installation Jetzt & Jetzt, die im Rahmen der Ruhrtriennale noch bis zum 23. September in der Bochumer Turbinenhalle zu sehen ist, werden Momentaufnahmen von insgesamt hundert Menschen gezeigt. Die Altersspanne liegt dabei von 8 bis 82 Jahren.  Für das Projekt hat sich jede der Personen im Spätsommer 2021 eine Minute lang im Spiegel betrachtet, um dort etwa zwei Jahre später ihrem früheren Ich erneut zu begegnen. Jede Person reflektiert darüber, auf welche Weise sie sich innerlich wie äußerlich verändert hat. Als Besucher können wir nicht nur ihre Selbstbegegnung im Spiegel beobachten, sondern auch ihre Lieblingslieder und Lebensgeschichten anhören: Wer sie waren, wer sie sind und wer sie einmal sein wollen.

Durch den Westpark zur Turbinenhalle

Erneut führt mich mein Künstlertreff in die Nähe der Jahrhunderthalle. So stolpere ich nun schon zum zweiten Mal auf den riesigen Kopfsteinpflaster-Treppen in Richtung Westpark. Dieses Mal entscheide ich mich jedoch dazu, etwas länger durch den Park zu schlendern und das Industrieflair zu genießen. Intuitiv durchquere ich ein kleines Waldstück, das neben Müll und Unkraut auch von surrenden Schmetterlingen und Libellen bevölkert wird, und gelange zu einer langen Brücke mit eindrucksvollem Blick auf den Westpark mitsamt Jahrhunderthalle und Turbinenhalle.

Auf der saftig grünen Rasenfläche vor den Hallen haben es sich einige Leute zum Sonnen gemütlich gemacht, viele sind mit dem Fahrrad hergekommen. Die flirrende Hitze wirkt wie ein Wattebausch, der alle Sinne betäubt: Gleißendes Sonnenlicht lässt die Augen erblinden, Hitze legt sich über alle Geräusche und dörrt Gerüche aus, und das Einzige was bleibt, ist das brennende Sonnengefühl auf der Haut. Dabei bin ich ja nicht in der Wüste, sondern bloß in Bochum.

Andächtige Stille in der Turbinenhalle

In der Turbinenhalle bekomme ich von dem grünen Wüstenfeeling nichts mehr mit. Das hier ist eine eigene Welt. Die Turbinenhalle ist eine wunderschöne, vom Alter gezeichnete Industriehalle und ein tolles Setting für diese Installation. Die Mitarbeiter der Ruhrtriennale sprechen sehr leise mit mir, weil es an diesem Ort um das Zuhören und Reflektieren geht und niemand gestört werden soll. Ich bekomme also einen Audioguide mit Kopfhörern sowie eine Dauerkarte in die Hand gedrückt, mit der ich jederzeit herkommen kann, solange die Installation noch läuft. Dann gehe ich hinein und werfe einen ersten Blick auf die riesigen Bildschirme. Schon jetzt hat dieser Ort eine besondere Wirkung auf mich – alles hier lädt zum Nachdenken ein, es herrscht eine durchweg andächtige Stimmung, fast wie in einer Kirche. Ein paar andere Besucher:innen sitzen auf dem Boden oder auf den gepolsterten Bänken, die in der Mitte der Halle stehen. Ich freue mich schon darauf, mir die verschiedenen Menschen anzusehen und einen kleinen Einblick in ihre individuellen Lebensgeschichten zu erhalten. Hundert Menschen, verteilt auf insgesamt zehn Displays – ich weiß kaum, wo ich anfangen soll.  

 

Vergangenheit: Erinnerungen an mich selbst

Ich beginne chronologisch bei der jüngsten Generation. Bevor ich mir etwas anhöre, sehe ich zunächst allen Kindern und Jugendlichen dabei zu, wie sie im Spiegel sich selbst begegnen. Beim Beobachten der Personen bemerke ich, dass ich auf einige der Geschichten besonders neugierig bin. Das hat nicht immer einen bestimmten Grund, doch oft ist es eine Veränderung oder Reaktion der Person, die mich besonders fasziniert. Nachdem ich alle ein kleines bisschen kennengelernt habe, höre ich mir einige der Erzählungen oder Lieblingslieder an. 

Ehrlich gesagt bin ich ziemlich schnell gerührt. Die kleinen und großen Fragen, die diese jungen Menschen umtreiben, versetzen mich in meine eigene Kindheit und Jugend zurück. So spielen Geburtstagsgeschenke, wechselnde Hobbys und Freundschaften hier eine noch ganz andere Rolle, als zum Beispiel bei jungen Erwachsenen, die eher von ihrer beruflichen Selbstverwirklichung erzählen. Und so manche Lieblingslieder bekommen im Zusammenhang mit der Identität einer anderen Person plötzlich eine ganz neue emotionale Bedeutung, auch für mich. Ich hatte mir eigentlich schon gedacht, dass mich Jetzt & Jetzt berühren würde – und doch trifft es mich völlig unvorbereitet.

 

Gegenwart: Die Universalität des Menschseins

Ich kann die gezeigten Menschen schon durch die Art und Weise kennenlernen, wie sie sich selbst im Spiegel begegnen: Betrachten sie sich schüchtern und fragend? Nicken sie sich selbstbewusst und glücklich zu? Haben sie ein eher zufriedenes Lächeln auf den Lippen oder einen ernsten und faszinierten Blick, wenn sie sich im Spiegel ansehen? Daher ist es besonders spannend, nicht sofort in die Erzählungen reinzuhören, sondern die Personen zunächst auf mich wirken zu lassen. Erst danach höre ich mir ihre Geschichten an.

Die Installation bietet darüber hinaus viel Raum, auch in mich selbst hineinzuhorchen. Ich stelle mir Fragen wie: In welcher Lebensphase stecke ich gerade? Wie sehr habe ich mich in den letzten anderthalb oder zwei Jahren verändert? Wie würde ich meinem alten Ich begegnen? Und ich kann mich ins Verhältnis setzen zu anderen Menschen und erkennen, wie universell das Menschsein ist. Meine eigenen Erfahrungen sind vielleicht gar nicht so einzigartig, wie ich oft denke. Eigentlich habe ich ziemlich viel mit diesen Menschen gemeinsam. Das ist die Universalität des Menschseins, der wir in Jetzt & Jetzt begegnen können.

 

Zukunft: Was mich vielleicht noch erwartet

Von den zehn Bildschirmen und Altersgruppen schaffe ich es nur bis zum vierten Bildschirm, auf dem die etwa 30-Jährigen zu sehen sind. Danach bin ich leider kaum noch aufnahmefähig. Doch so viel Material, wie es im Rahmen der Installation zu sehen und zu hören gibt, kann sich ohnehin keiner an einem Tag aneignen – daher die Dauerkarte. Ich hoffe sehr, dass ich es schaffe, noch einmal herzukommen. Nach diesem Einblick in das Leben anderer – und damit auch in meine eigene Vergangenheit und Gegenwart – bin ich erst recht gespannt auf die höheren Altersgruppen. Was kann ich von ihnen über meine Zukunft lernen? Was aus ihren verschiedenen Vergangenheiten und Gegenwarten lesen? Wird mir einiges davon vielleicht selbst einmal durch den Kopf gehen?

Für heute werde ich mich jedoch verabschieden. Es war wunderschön, meine Zeit und Aufmerksamkeit diesen unbekannten Personen zu widmen, mich in sie einzufühlen und über das menschliche Leben nachzudenken. Insgesamt ist das Ruhrtriennale-Projekt Jetzt & Jetzt weniger eine Installation als vielmehr eine zutiefst menschliche Begegnung.

Laufzeit: 25. August – 23. September 2023

Mi–Fr 15 – 20.30 Uhr

Sa–So 12 – 20.30 Uhr

Sa 23. September von 12 – 22 Uhr geöffnet.

 

„Jetzt & Jetzt ist eine einzigartige Momentaufnahme, die es ermöglicht, zwei Gegenwarten eines Menschen im Dialog zu erleben und dabei sich selbst und unsere Gesellschaft zu befragen.“