Künstlertreff in die Ausstellung Chagall, Matisse, Miró im Museum Folkwang – und ein Spaziergang durch Essen-Rüttenscheid. Meine Erfahrungen.
Draußen ist es kühler geworden und die Wolken ziehen über den Himmel wie im Zeitraffer, mal ist Sonne, dann wieder Schatten. Ich laufe zu Fuß über die Kahrstraße in Richtung Folkwang Museum und komme an vielen vertrauten Geschäften vorbei. Da sind die beiden seltsamen Antiquitätenläden, die immer düster und vollgestopft aussehen, in deren Schaufenster es jedoch viel zu entdecken gibt. Meistens haben sie geschlossen, wenn ich hier vorbeikomme.
Hinter mir donnert eine gelbe Straßenbahn über die Kreuzung am Gemarkenplatz, aber die lasse ich schon bald hinter mir. Die Kahrstraße ist eine ziemlich ruhige, aber bunte Straße: Auf engstem Raum gibt es hier Bars und Kneipen, Läden mit Porzellanwaren, ein paar Friseure, Kunstgalerien, hippe Arbeitsplätze und sogar einen Schallplattenladen. Sofort erinnere ich mich an eine Szene in Before Sunrise, als Jesse und Céline in einem Wiener Schallplattenladen Come Here von Kath Bloom anhören und sich verlegen ansehen, aber nie gleichzeitig, weil einer immer genau dann den Blick senkt, wenn die andere zu ihm schaut und umgekehrt. Ich besitze keinen Schallplattenspieler, habe auch noch nie eine Schallplatte angehört, aber vielleicht könnte ich mir den Laden trotzdem mal ansehen? Ein bisschen in Nostalgie schwelgen?
Ich nehme mir vor, ein anderes Mal wiederzukommen. Also geht es weiter die Straße entlang zum Folkwang Museum, sodass ich an noch mehr seltsamen Häusern und Geschäften vorbeikomme: Da sind bürgerliche Vorgärten, Thai-Massage-Salons und quadratische Wohnhausblöcke mit eigenen Spielplätzen. Jeder der Spielplätze ist ein bisschen anders. Und weil es so kalt ist, kriege ich eine Gänsehaut, und irgendwie gefällt mir das.
Dann komme ich endlich am Gebäude des Museums an. Ich war bestimmt ein Jahr lang nicht hier, obwohl der Eintritt in die Sammlung frei ist und man gut Inspiration sammeln kann. Vor allem liebe ich die Architektur des Folkwang Museums. Sie stammt von David Chipperfield, der schon sehr viele bekannte Museen entworfen hat. Eigentlich dürfte ich seine Architektur nicht mögen, weil sie so eckig und geradlinig und unromantisch ist. Aber vielleicht ist es gerade dieser Minimalismus, der mir hier so gut gefällt: Das Gebäude selbst ist Kunst, ohne die in ihm enthaltenen Werke ihrer Wirkung zu berauben – stattdessen setzt die Architektur mit den großen Fenstern und klaren Räumen ihren Fokus auf genau die richtigen Dinge. Und es gibt jede Menge Innenhöfe, die mir ganz besonders gefallen, vor allem wenn sich die Blätter der Innenhof-Bäume herbstlich verfärben. Aber ich fange ja schon das Schwärmen an, bevor ich überhaupt im Museum angekommen bin.
Genussvoll schreite ich also über den langen Aufgang, der zum Museumseingang führt. Obwohl ich mitten in der Stadt bin, fühle ich mich wie in einer ästhetischen Oase, mein Blick wird angenehm kanalisiert und ich laufe wie durch einen Tunnel in eine neue Welt. Ich biege um die Ecke und trete durch die schweren Glastüren ins Museum ein.
Am Empfangstresen hole ich mir ein Ticket für die Ausstellung Chagall, Matisse, Miró – Made in Paris und staune darüber, wie voll es heute im Foyer ist. Ich selbst will ehrlich gesagt nur in diese Ausstellung, weil Chagall im Titel steht – und wenn ich auch nur ein Gemälde von Chagall dort sehen kann, dann hat sich der Eintritt gelohnt (zumindest denke ich das anfangs – später wird sich herausstellen, dass es tatsächlich nur ein Gemälde von Chagall zu sehen gibt). Den Werken von Marc Chagall bin ich zum ersten Mal in Südfrankreich begegnet, als es in Aix-en-Provence eine groß angelegte Ausstellung zu sehen gab. Mir gefiel dieses durchweg Blaue in seinen Bildern, diese stimmungsvolle Vermischung von Innen- und Außenraum, bei der alles kraftvoll ineinander übergeht, die interessanten, eigenartigen Gestalten, die manchmal durch die Gegend fliegen, Chagalls dick aufgetragene Farben, und diese bunt schillernden Blumensträuße, ich glaube ich habe selten so wunderschöne Blumensträuße gesehen wie die von Chagall.
Ich sehe mir also die Ausstellung zu den Expressionisten und ihren Druckgrafiken an und bin zugegeben ziemlich enttäuscht. Einige der Lithographien und Künstlerbücher gefallen mir gut, doch im Großen und Ganzen interessieren mich die Drucke nicht allzu sehr. Die Ausstellungsräume sind klein und fensterlos, sodass nicht einmal die Architektur etwas wettmachen kann. Am besten gefällt mir das Gemälde Les fenêtres sur la ville von Robert Delaunay, weil die Leinwand ein so längliches Format hat, dass man beim Hinschauen nicht alles auf einmal wahrnehmen kann. So wie sich das Auge stets auf eine bestimmte Stelle fixiert und alles andere unscharf bleibt, rutscht der Blick hier automatisch in die Mitte des Bildes, wo die Farben leuchtend und klar sind. An den Seiten nutzt der Maler geschickt gedecktere Farbtöne, die den Effekt der Unschärfe verstärken.
Mein eigentlicher Künstlertreff beginnt heute erst im Museumsshop. Ich kann nicht genau beschreiben, warum das so ist. In den meisten Fällen ist der tatsächliche Künstlertreff gar nicht so leicht zu beschreiben wie alles drumherum. Und eigentlich ist es auch gar nicht der Sinn von Künstlertreffs, alles genaustens zu beschreiben und zugänglich zu machen. Ein Künstlertreff ist ganz für mich alleine bestimmt, es geht um etwas, das nur für mich greifbar ist, eine gewisse Form des Erlebens, ein Wiederentdecken der inneren Welt, indem ich ohne Ablenkungen durch die äußere streife. Oft denke ich, dass es vielleicht falsch ist, darüber zu schreiben. Aber letztendlich gibt es da immer diesen Teil des Erlebnisses, den ich nicht aufschreibe, der nur mir gehört. Schreiben heißt auch Wählen, nämlich Worte wählen, Bilder wählen. Ich gebe nicht alles preis. Und ich kann mich jedes Mal entscheiden: Will ich darüber schreiben, oder behalte ich es für mich?
In der Bücherabteilung des Museumsshops stöbere ich heute besonders viel, bestimmt genauso lange wie vorher in der zehn-Euro-teuren Chagall, Matisse, Miró-Ausstellung, und am Ende kostet mich der Museumsshop-Besuch achtzehn Euro, nämlich genau den Preis des Buches, das ich mir zu recherchezwecken kaufe.
Danach spaziere ich durch Abschnitte Rüttenscheids, in denen ich nie zuvor gewesen bin. Ich wandere staunend über eine Bogenbrücke, sehe eine Skulptur namens Umraum (so habe ich sie getauft), komme an Restaurants vorbei, die ich nicht kenne, aber auch am Stadtwerke-Kundencenter, das ich sehr wohl kenne. Am Ende setze ich mich mit dem frisch erworbenen Buch ins Café und lese dort und genieße die Stimmung des Tages und beobachte Leute beim Weißweintrinken und nehme einen Schluck vom Cappuccino und dann vom Sprudelwasser und blättere in dem Buch und freue mich so sehr über alles.
Draußen ist es kühler geworden und die Wolken ziehen über den Himmel wie im Zeitraffer, mal ist Sonne, dann wieder Schatten. Ich laufe zu Fuß über die Kahrstraße in Richtung Folkwang Museum und komme an vielen vertrauten Geschäften vorbei. Da sind die beiden seltsamen Antiquitätenläden, die immer düster und vollgestopft aussehen, in deren Schaufenster es jedoch viel zu entdecken gibt. Meistens haben sie geschlossen, wenn ich hier vorbeikomme.
Hinter mir donnert eine gelbe Straßenbahn über die Kreuzung am Gemarkenplatz, aber die lasse ich schon bald hinter mir. Die Kahrstraße ist eine ziemlich ruhige, aber bunte Straße: Auf engstem Raum gibt es hier Bars und Kneipen, Läden mit Porzellanwaren, ein paar Friseure, Kunstgalerien, hippe Arbeitsplätze und sogar einen Schallplattenladen. Sofort erinnere ich mich an eine Szene in Before Sunrise, als Jesse und Céline in einem Wiener Schallplattenladen Come Here von Kath Bloom anhören und sich verlegen ansehen, aber nie gleichzeitig, weil einer immer genau dann den Blick senkt, wenn die andere zu ihm schaut und umgekehrt. Ich besitze keinen Schallplattenspieler, habe auch noch nie eine Schallplatte angehört, aber vielleicht könnte ich mir den Laden trotzdem mal ansehen? Ein bisschen in Nostalgie schwelgen?
Ich nehme mir vor, ein anderes Mal wiederzukommen. Also geht es weiter die Straße entlang zum Folkwang Museum, sodass ich an noch mehr seltsamen Häusern und Geschäften vorbeikomme: Da sind bürgerliche Vorgärten, Thai-Massage-Salons und quadratische Wohnhausblöcke mit eigenen Spielplätzen. Jeder der Spielplätze ist ein bisschen anders. Und weil es so kalt ist, kriege ich eine Gänsehaut, und irgendwie gefällt mir das.
Dann komme ich endlich am Gebäude des Museums an. Ich war bestimmt ein Jahr lang nicht hier, obwohl der Eintritt in die Sammlung frei ist und man gut Inspiration sammeln kann. Vor allem liebe ich die Architektur des Folkwang Museums. Sie stammt von David Chipperfield, der schon sehr viele bekannte Museen entworfen hat. Eigentlich dürfte ich seine Architektur nicht mögen, weil sie so eckig und geradlinig und unromantisch ist. Aber vielleicht ist es gerade dieser Minimalismus, der mir hier so gut gefällt: Das Gebäude selbst ist Kunst, ohne die in ihm enthaltenen Werke ihrer Wirkung zu berauben – stattdessen setzt die Architektur mit den großen Fenstern und klaren Räumen ihren Fokus auf genau die richtigen Dinge. Und es gibt jede Menge Innenhöfe, die mir ganz besonders gefallen, vor allem wenn sich die Blätter der Innenhof-Bäume herbstlich verfärben. Aber ich fange ja schon das Schwärmen an, bevor ich überhaupt im Museum angekommen bin.
Genussvoll schreite ich also über den langen Aufgang, der zum Museumseingang führt. Obwohl ich mitten in der Stadt bin, fühle ich mich wie in einer ästhetischen Oase, mein Blick wird angenehm kanalisiert und ich laufe wie durch einen Tunnel in eine neue Welt. Ich biege um die Ecke und trete durch die schweren Glastüren ins Museum ein.
Am Empfangstresen hole ich mir ein Ticket für die Ausstellung Chagall, Matisse, Miró – Made in Paris und staune darüber, wie voll es heute im Foyer ist. Ich selbst will ehrlich gesagt nur in diese Ausstellung, weil Chagall im Titel steht – und wenn ich auch nur ein Gemälde von Chagall dort sehen kann, dann hat sich der Eintritt gelohnt (zumindest denke ich das anfangs – später wird sich herausstellen, dass es tatsächlich nur ein Gemälde von Chagall zu sehen gibt). Den Werken von Marc Chagall bin ich zum ersten Mal in Südfrankreich begegnet, als es in Aix-en-Provence eine groß angelegte Ausstellung zu sehen gab. Mir gefiel dieses durchweg Blaue in seinen Bildern, diese stimmungsvolle Vermischung von Innen- und Außenraum, bei der alles kraftvoll ineinander übergeht, die interessanten, eigenartigen Gestalten, die manchmal durch die Gegend fliegen, Chagalls dick aufgetragene Farben, und diese bunt schillernden Blumensträuße, ich glaube ich habe selten so wunderschöne Blumensträuße gesehen wie die von Chagall.
Ich sehe mir also die Ausstellung zu den Expressionisten und ihren Druckgrafiken an und bin zugegeben ziemlich enttäuscht. Einige der Lithographien und Künstlerbücher gefallen mir gut, doch im Großen und Ganzen interessieren mich die Drucke nicht allzu sehr. Die Ausstellungsräume sind klein und fensterlos, sodass nicht einmal die Architektur etwas wettmachen kann. Am besten gefällt mir das Gemälde Les fenêtres sur la ville von Robert Delaunay, weil die Leinwand ein so längliches Format hat, dass man beim Hinschauen nicht alles auf einmal wahrnehmen kann. So wie sich das Auge stets auf eine bestimmte Stelle fixiert und alles andere unscharf bleibt, rutscht der Blick hier automatisch in die Mitte des Bildes, wo die Farben leuchtend und klar sind. An den Seiten nutzt der Maler geschickt gedecktere Farbtöne, die den Effekt der Unschärfe verstärken.
Mein eigentlicher Künstlertreff beginnt heute erst im Museumsshop. Ich kann nicht genau beschreiben, warum das so ist. In den meisten Fällen ist der tatsächliche Künstlertreff gar nicht so leicht zu beschreiben wie alles drumherum. Und eigentlich ist es auch gar nicht der Sinn von Künstlertreffs, alles genaustens zu beschreiben und zugänglich zu machen. Ein Künstlertreff ist ganz für mich alleine bestimmt, es geht um etwas, das nur für mich greifbar ist, eine gewisse Form des Erlebens, ein Wiederentdecken der inneren Welt, indem ich ohne Ablenkungen durch die äußere streife. Oft denke ich, dass es vielleicht falsch ist, darüber zu schreiben. Aber letztendlich gibt es da immer diesen Teil des Erlebnisses, den ich nicht aufschreibe, der nur mir gehört. Schreiben heißt auch Wählen, nämlich Worte wählen, Bilder wählen. Ich gebe nicht alles preis. Und ich kann mich jedes Mal entscheiden: Will ich darüber schreiben, oder behalte ich es für mich?
In der Bücherabteilung des Museumsshops stöbere ich heute besonders viel, bestimmt genauso lange wie vorher in der zehn-Euro-teuren Chagall, Matisse, Miró-Ausstellung, und am Ende kostet mich der Museumsshop-Besuch achtzehn Euro, nämlich genau den Preis des Buches, das ich mir zu recherchezwecken kaufe.
Danach spaziere ich durch Abschnitte Rüttenscheids, in denen ich nie zuvor gewesen bin. Ich wandere staunend über eine Bogenbrücke, sehe eine Skulptur namens Umraum (so habe ich sie getauft), komme an Restaurants vorbei, die ich nicht kenne, aber auch am Stadtwerke-Kundencenter, das ich sehr wohl kenne. Am Ende setze ich mich mit dem frisch erworbenen Buch ins Café und lese dort und genieße die Stimmung des Tages und beobachte Leute beim Weißweintrinken und nehme einen Schluck vom Cappuccino und dann vom Sprudelwasser und blättere in dem Buch und freue mich so sehr über alles.