Musik- und Filmtipp

Moglis Konzeptalbum Ravage: Weil Kunst mich selbst und andere heilt

  • 4 Min. Lesezeit
  • 17. Februar 2024
  • Sonja

Review zum Konzeptalbum Ravage der Künstlerin Mogli. Und darüber, wie Kunst heilen kann.  

Vor ziemlich genau einem Jahr war ich an einem absoluten Tiefpunkt. Jetzt ist wieder Februar, und geradezu pünktlich ist auch der Tiefpunkt wieder da, viel tiefer und länger als zuvor. Doch irgendwann schaffe ich es, mich selbst zu heilen. Etwa, wenn ich Mirror von Mogli höre, dabei Portraits zeichne und ein Versprechen halte, das ich mir selbst gegeben habe. Erst nachdem ich sowohl den Remix von Christian Löffler als auch die Originalversion des Songs fast ein Jahr lang regelmäßig gehört habe, beginne ich, auch andere Songs der Künstlerin zu entdecken. Dabei stoße ich auf das Konzeptalbum Ravage, in dem Mogli ihre persönlichen Erfahrungen nicht nur musikalisch, sondern auch filmisch und tänzerisch verarbeitet. Ihre neuen, elektronischeren Klänge treffen dabei genau meinen Nerv.

Zu ihrem Album hat die Künstlerin den gleichnamigen Film Ravage produziert, der ihre Musik visualisiert und ihre persönlichen Erfahrungen metaphorisch darstellt. Im Film lebt Fear/Bravery (verkörpert durch Mogli selbst) in der dystopischen Welt Neutra, die gefühlsarm und kontrolliert erscheint. Als die Protagonistin ihre Fassade nicht mehr aufrechterhalten kann, wird sie von dieser Welt getrennt, um einen scheinbar ebenso kontrollierten Prozess der Heilung zu durchlaufen. Kurz bevor sie jedoch als ‚geheilt‘ gilt, lässt sie sich von ihrer Sehnsucht mitreißen und bricht aus den engen Strukturen ihres bisherigen Lebens aus. Außerhalb von Neutra muss sich die Protagonistin nicht nur ihren Emotionen, sondern auch einer neuen Außenwelt stellen.

Einmalige Verschränkung von Musik und Film

Es scheint selbstverständlich, dass Filme durch eigens komponierte Musik vertont werden. In Moglis Ravage ist es jedoch genau umgekehrt: Der Film wurde passend zum Musikalbum entwickelt und visualisiert die tiefere Bedeutung hinter den Songs. Dennoch erzählt er eine eigene Geschichte, die sowohl für sich selbst als auch im Zusammenhang mit den Songtexten betrachtet werden kann. Darüber hinaus nutzt Mogli den Tanz als Ausdrucksmittel, sodass mehrere Bedeutungsebenen entstehen, die zum Nachdenken anregen. Ravage wird zu einem Konzeptalbum, einem ineinandergreifenden Gesamtkunstwerk.

Wie auch bei anderen Konzeptalben führt die Verschränkung der verschiedenen Elemente dazu, dass ich mir bewusst die Zeit nehmen muss, um mich mit Moglis Kunst auseinanderzusetzen. Mittels der Visualisierung durch den Film fällt es leichter, die Lieder in ihrem Gesamtkontext wahrzunehmen: als Teil eines bewusst gestalteten Albums. Für mich war es inspirierend, mich näher auf den Film und das Album einzulassen und darüber nachzudenken, was die Künstlerin mit ihren Worten und Klängen im Sinn hatte oder was ihre Musik für mich selbst bedeutet.

Mit den eigenen Geistern tanzen

Das Album hat mich nämlich nicht nur in künstlerischer, sondern auch in emotionaler Hinsicht sehr berührt. In einigen Interviews spricht Mogli davon, dass die Lieder in einer Phase entstanden sind, in der sie unter Depressionen und Burnout litt. Ihre negativen Gefühle konnte sie mithilfe ihrer Musik verarbeiten und sich somit bis zu einem gewissen Maß selbst heilen. So erzählt die Künstlerin zum Beispiel, dass sie in ihren Texten meist wie eine enge, ermutigende Freundin zu sich selbst spricht. Das Faszinierende daran ist, dass sich die heilsame Kraft ihrer Lieder auch auf mich als Zuhörerin überträgt: Wenn ich selbst gegen die dunklen Geister in meinem Inneren kämpfen muss, kann Moglis Stimme ihnen etwas entgegensetzen. Nicht nur durch die Texte, sondern auch durch den tröstlichen, ruhigen Gesang, der sich manchmal wie eine Umarmung anfühlt.

Gerade in Mirror scheinen diese Gefühle für mich Gestalt anzunehmen, wenn das lyrische Ich und das lyrische Du eine Art inneres Gespräch miteinander führen. Hier ist nicht immer klar, welche der Stimmen das Original und welche lediglich das Spiegelbild ist, welche gut ist oder böse. Alles vermischt sich miteinander, bis das lyrische Ich riskiert, sich selbst zu verlieren. Im Film ist dieser innere Konflikt auch tänzerisch wunderschön umgesetzt. Ich fühle mich durch Mirror irgendwie verstanden und getröstet.

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Über Kritik, Verletzlichkeit und Heilung

Moglis Konzeptalbum Ravage zeigt, dass Kunst tatsächlich heilsam ist: Sie heilt nicht nur die Künstlerin selbst, sondern auch andere Menschen. Ja, wir Künstler machen uns verletzlich, und das kann unerträglich sein. Für mich fühlt es sich an, als stürmten all die inneren und äußeren Stimmen auf mich ein und sagten mir, dass ich eine Versagerin sei, dass ich mich lächerlich mache und keine Zukunft habe. Aber genau deswegen bin ich letztlich Künstlerin, oder nicht? Ich bin es, weil ich keine andere Wahl habe, als mich auszudrücken und dadurch angreifbar zu werden. That’s my job. I’m a poet and I’m going to play the fool. Ich bin Schriftstellerin und Künstlerin, weil ich nicht anders kann. Weil es trotz allem leichter zu ertragen ist, verletzlich zu sein und von den Stimmen angezweifelt zu werden, als keine Kunst zu machen. Weil ich lieber mein Innerstes nach außen kehre, als zu schweigen und zu sterben. Ich habe es satt, mich selbst und andere Künstler dauernd zu kritisieren. Deshalb werde ich das Versprechen halten, das ich mir selbst gegeben habe – egal was passiert. Und vielleicht kann auch ich eines Tages mich selbst und ein paar andere Menschen mit meiner Kunst heilen, so wie ich in Moglis Album Ravage Trost finden konnte.  

Take a deep breath and let go
You’re too hard on yourself to grow
You‘re ready you‘re ready
To run and dance with your ghosts

Musik- und Filmtipp

Ravage von Mogli: Weil Kunst mich selbst und andere heilt

Review zum Konzeptalbum Ravage der Künstlerin Mogli. Und darüber, wie Kunst heilen kann.  

Vor ziemlich genau einem Jahr war ich an einem absoluten Tiefpunkt. Jetzt ist wieder Februar, und geradezu pünktlich ist auch der Tiefpunkt wieder da, viel tiefer und länger als zuvor. Doch irgendwann schaffe ich es, mich selbst zu heilen. Etwa, wenn ich Mirror von Mogli höre, dabei Portraits zeichne und ein Versprechen halte, das ich mir selbst gegeben habe. Erst nachdem ich sowohl den Remix von Christian Löffler als auch die Originalversion des Songs fast ein Jahr lang regelmäßig gehört habe, beginne ich, auch andere Songs der Künstlerin zu entdecken. Dabei stoße ich auf das Konzeptalbum Ravage, in dem Mogli ihre persönlichen Erfahrungen nicht nur musikalisch, sondern auch filmisch und tänzerisch verarbeitet. Ihre neuen, elektronischeren Klänge treffen dabei genau meinen Nerv.

Zu ihrem Album hat die Künstlerin den gleichnamigen Film Ravage produziert, der ihre Musik visualisiert und ihre persönlichen Erfahrungen metaphorisch darstellt. Im Film lebt Fear/Bravery (verkörpert durch Mogli selbst) in der dystopischen Welt Neutra, die gefühlsarm und kontrolliert erscheint. Als die Protagonistin ihre Fassade nicht mehr aufrechterhalten kann, wird sie von dieser Welt getrennt, um einen scheinbar ebenso kontrollierten Prozess der Heilung zu durchlaufen. Kurz bevor sie jedoch als ‚geheilt‘ gilt, lässt sie sich von ihrer Sehnsucht mitreißen und bricht aus den engen Strukturen ihres bisherigen Lebens aus. Außerhalb von Neutra muss sich die Protagonistin nicht nur ihren Emotionen, sondern auch einer neuen Außenwelt stellen.

 

Einmalige Verschränkung von Musik und Film in Ravage

Es scheint selbstverständlich, dass Filme durch eigens komponierte Musik vertont werden. In Moglis Ravage ist es jedoch genau umgekehrt: Der Film wurde passend zum Musikalbum entwickelt und visualisiert die tiefere Bedeutung hinter den Songs. Dennoch erzählt er eine eigene Geschichte, die sowohl für sich selbst als auch im Zusammenhang mit den Songtexten betrachtet werden kann. Darüber hinaus nutzt Mogli den Tanz als Ausdrucksmittel, sodass mehrere Bedeutungsebenen entstehen, die zum Nachdenken anregen. Ravage wird zu einem Konzeptalbum, einem ineinandergreifenden Gesamtkunstwerk.

Wie auch bei anderen Konzeptalben führt die Verschränkung der verschiedenen Elemente dazu, dass ich mir bewusst die Zeit nehmen muss, um mich mit Moglis Kunst auseinanderzusetzen. Mittels der Visualisierung durch den Film fällt es leichter, die Lieder in ihrem Gesamtkontext wahrzunehmen: als Teil eines bewusst gestalteten Albums. Für mich war es inspirierend, mich näher auf den Film und das Album einzulassen und darüber nachzudenken, was die Künstlerin mit ihren Worten und Klängen im Sinn hatte oder was ihre Musik für mich selbst bedeutet.

Take a deep breath and let go
You’re too hard on yourself to grow
You‘re ready you‘re ready
To run and dance with your ghosts

Mit den eigenen Geistern tanzen

Das Album hat mich nämlich nicht nur in künstlerischer, sondern auch in emotionaler Hinsicht sehr berührt. In einigen Interviews spricht Mogli davon, dass die Lieder in einer Phase entstanden sind, in der sie unter Depressionen und Burnout litt. Ihre negativen Gefühle konnte sie mithilfe ihrer Musik verarbeiten und sich somit bis zu einem gewissen Maß selbst heilen. So erzählt die Künstlerin zum Beispiel, dass sie in ihren Texten meist wie eine enge, ermutigende Freundin zu sich selbst spricht. Das Faszinierende daran ist, dass sich die heilsame Kraft ihrer Lieder auch auf mich als Zuhörerin überträgt: Wenn ich selbst gegen die dunklen Geister in meinem Inneren kämpfen muss, kann Moglis Stimme ihnen etwas entgegensetzen. Nicht nur durch die Texte, sondern auch durch den tröstlichen, ruhigen Gesang, der sich manchmal wie eine Umarmung anfühlt.

Gerade in Mirror scheinen diese Gefühle für mich Gestalt anzunehmen, wenn das lyrische Ich und das lyrische Du eine Art inneres Gespräch miteinander führen. Hier ist nicht immer klar, welche der Stimmen das Original und welche lediglich das Spiegelbild ist, welche gut ist oder böse. Alles vermischt sich miteinander, bis das lyrische Ich riskiert, sich selbst zu verlieren. Im Film ist dieser innere Konflikt auch tänzerisch wunderschön umgesetzt. Ich fühle mich durch Mirror irgendwie verstanden und getröstet.

 

Über Kritik, Verletzlichkeit und Heilung

Moglis Konzeptalbum Ravage zeigt, dass Kunst tatsächlich heilsam ist: Sie heilt nicht nur die Künstlerin selbst, sondern auch andere Menschen. Ja, wir Künstler machen uns verletzlich, und das kann unerträglich sein. Für mich fühlt es sich an, als stürmten all die inneren und äußeren Stimmen auf mich ein und sagten mir, dass ich eine Versagerin sei, dass ich mich lächerlich mache und keine Zukunft habe. Aber genau deswegen bin ich letztlich Künstlerin, oder nicht? Ich bin es, weil ich keine andere Wahl habe, als mich auszudrücken und dadurch angreifbar zu werden. That’s my job. I’m a poet and I’m going to play the fool. Ich bin Schriftstellerin und Künstlerin, weil ich nicht anders kann. Weil es trotz allem leichter zu ertragen ist, verletzlich zu sein und von den Stimmen angezweifelt zu werden, als keine Kunst zu machen. Weil ich lieber mein Innerstes nach außen kehre, als zu schweigen und zu sterben. Ich habe es satt, mich selbst und andere Künstler dauernd zu kritisieren. Deshalb werde ich das Versprechen halten, das ich mir selbst gegeben habe – egal was passiert. Und vielleicht kann auch ich eines Tages mich selbst und ein paar andere Menschen mit meiner Kunst heilen, so wie ich in Moglis Album Ravage Trost finden konnte.